Juni – August 1918
______________________________________________________________
[Fortsetzung Blatt 10]
2. Juni 1918
Würde gern mehr schreiben, aber es ist viel Arbeit und keine Zeit. Viele Verwundete. Ein Kommen, ein Gehen. Immer Arbeit, alles Drängen und Schimpfen. Vorne ist's auch nicht geheuer. Besser noch hier.
5. Juni 1918
Vor lauter Arbeit komme ich nicht zum Schreiben.
15. Juni 1918
Geht gut, Grüße usw. Joseph Böhmann muß sich nun auch stellen. Hier derselbe Betrieb. Ein Kommen, ein Gehen, und manche bleiben hier, in kühler Erde. An zehn Leichen stehen andauernd in der Totenkapelle und der Ehrenfriedhof von Rethel birgt schon 4000–5000 deutsche Helden. Und jeder hat sein Kreuz, das eine schöner als das andere, und alles zusammen ein Wald von Kreuzen, ein schreckliches Wahrzeichen blutigen Ringens in der Champagne. Gestern hab ich einem Landmann von mir die Augen zugedrückt. Rechter Arm und Auge waren fort. Heinrich Bertling
______________________________________________________________
[Blatt 11]
hieß er und stammte aus Emsbühren [sic]1, wohnte aber bei Salzbergen. Ein lieber, frommer Junge. Wollte noch gerne nach Haus. Ich tröstete ihn und versprach, ihn mit dem nächsten Transport fortzuschicken, trotzdem ich wußte, daß er nur noch 24 Stunden lebte. So ist das Leben. Wann ist nur Schluß mit dem Morden. Letzte Nacht herrschte an der Front ein fürchterliches Trommelfeuer.
19. Juni 1918
Lange nichts von dir gehört. Bist doch nicht krank? Hoffentlich gibt es bald bessere Zeiten. Bei euch sieht es doch traurig aus. Alles so knapp und so mager. Man muß sich nur wundern, daß die Leute so durchkommen. Dir täte so eine Lazarettzeit auch mal gut. Hier gibt es noch alles. Was der Kranke haben muß, bekommt er. Bin gesund. Daß ich bei dieser Kost nicht abnehme, kannst Du wohl denken. Die Arbeit ist nun auch nicht mehr so groß, dabei alles Gewohnheit, mit der Zeit stumpft alles ab. Von meiner Kompanie hörte ich lange nichts. Sind von dort fortgekommen. Wohin? Ich muß mal schreiben, man hat in letzter Zeit alles vernachlässigt. Der Urlaub geht auch wieder an. Es fahren wenig.
21. Juni 1918
Für Karte Dank. Da klärt sich der Irrtum auf, daß ich so lange keine Post erhielt. (?) Hier gibts wohl bald mehr Arbeit. Gestern nahmen wir einen Kameraden auf, der von einem Pferde geschlagen war, und beim Verbinden sehe ich, daß es ein alter Freund (von den Leib-Garde-Husaren aus Rußland) war. Heute trafen sich Vater und Sohn, beide verwundet, hier im Lazarett. Komische Fälle bekommt man zu sehen, z. B. einem älteren Mann ist eine Kugel (eine Deutsche!) rechts neben der Nase in den Kopf ge-
______________________________________________________________
-
Emsbüren.↩
[Blatt 12]
gangen (sie kam von rechts oben), durchschlug die Zunge, die Zähne und blieb links unten im Halse stecken. Nun konnte der arme Kerl nichts zu sich nehmen. Alles kam aus der Wunde am Halse wieder heraus. Durch einen Einschnitt auf der linken Halsseite wurde die Kugel entfernt und ein Zahn, der dort mit hingeschleudert war. Doch nun war der Mann noch schlimmer dran, denn die Speise kam nun durch den Operationsschnitt am Halse. Ernährt mußte er werden. Die Zunge wurde genäht, und dann bekam er durch einen Schlauch, der bis in den Magen führt, flüssige Nahrung eingetrichtert. Das wurde nun hinderlich in Bezug auf Heilung und Luft, folglich hat er nun einen Schlauch durch die Nase in den Magen, der immer liegen bleibt, und dadurch wird er ernährt. Wunderliche Sache, nicht wahr? Gott Dank, dauert so ein Zustand nicht lange, denn Mundwunden heilen schnell. Also Theo ist auch verwundet (Artillerie-Splitter im Rücken).
24. Juni 1918
Für deinen Kuchen herzlichen Dank. Er kam gut über, wenn gleich ich die meiste Post wohl nicht erhalte, denn bei dem ewigen Kommen und Gehen können die Postmenschen hier im Lazarett unmöglich durchfinden. Dann geht die Post einfach mit dem Vermerk „Heimatlazarett überwiesen“ zurück. Mir gehts soweit gut. Wirst auch wohl schon von der „Spanischen Krankheit“ (später Grippe genannt) gehört haben. Ein Fieber, das bei der letzten Offensive (Marnebogen) mit herübergeschleppt ist und von dem keiner genau etwas weiß. 40 °C Fieber, Schüttelfrost und dergleichen. Hält fünf Tage etwa an und geht spurlos vorüber. Bei uns ist zurzeit alles krank. Ich füttere den ganzen Tag Aspirin. Sonst gehts mir aber
______________________________________________________________
[Blatt 13]
recht gut. Wenn du dort noch Tabak und Zigaretten haben solltest, schick sie noch nicht. Hier bekommen wir täglich eine Zigarre und vier Zigaretten und auch sonst noch oft. Da kam man vollständig mit aus. Meine Kompanie liegt wohl wieder in der alten Stellung.
26. Juni 1918
Bin guter Dinge. Toll ist nur die Post. Außer deinem schönen Kuchen und der Postkarte hab ich in den letzten Wochen nichts erhalten. Liegt jedenfalls hier an den Postleuten (vergleiche letzten Brief). Doch die Sache wird schon geändert werden. Sonst gleichmäßig[es] Leben. Einmal wöchentlich, abends, kommen wir zu einem gemütlichen Abend mit den Fratern (angehende Jesuitenpater) zusammen. Es ist ein recht netter und interessanter Verkehr. – Zum Theater (Schauspieler aus Deutschland) war ich auch schon. Kino ist natürlich auch da. Für Abwechselung ist also hinreichend gesorgt und man fühlt sich mal wieder Mensch. Gestern hab ich mal unserem Feldwebel geschrieben (allen Offizieren Gruß bestellen lassen usw.).
28. Juni 1918
Nehme mir schnell die Zeit, Brief zu schreiben. Amputieren gerade einen Kameraden. Sohn eines (Kameraden) Lehrers, Offizier. Es ist der letzte Eingriff. Morgen wird er sicher in der gr[oße?] Armee aufgenommen. Es ist traurig. Wann soll das nur enden? – Habe augenblicklich auch das sogenannte spanische Fieber. Hält bei uns und beim Gegner seinen Umzug. Fieber, Kopfschmerz, Brustschmerz, keinen Appetit und Erkältungserscheinungen sind wohl die wichtigsten Symptome. Nach vier bis fünf Tagen erledigt, die Zeit bei mir bald herum. Habe tüchtig gedoktert, führe die Apothekenbücher unserer Station und kann also alles bekommen. Das beste Mittel ist
______________________________________________________________
[Blatt 14]
doch Aspirin. Beim Schlafengehen noch zwei Tabletten, dann Schwitzen und am andern Morgen ist man frisch. Sonst dasselbe Leben. Bald kommt wieder Betrieb. Gestern bekam ich Post. Glaube, heute vor elf Monaten fuhr ich auf Urlaub von Rußland aus.
1. Juli 1918
Geht gut. Deinen Brief vom 23. Juni vorgestern erhalten.
3. Juli 1918
Gestern bekam ich Nachricht von der Kompanie. Wäre ich nun dort gewesen, wäre ich zum Offizier-Kursus gekommen. Na, bin ja hier auch gut aufgehoben und was nicht ist, kann noch werden. Wir gehen schweren Zeiten hier entgegen.
4. Juli 1918
Bin wieder vollständig hergestellt und munter. Habe in den letzten Tagen bei schweren Operationen mit assistiert. Hohe Ehre für mich, sonst macht das nur der zweite Arzt. Ich war auch nur in Vertretung so beschäftigt, da der Assistent erkrankt ist. Hat ganz gut gegangen [sic]. Man lernt dabei. Bald gibts viel Arbeit. Wirst es wohl in den Zeitungen gelesen haben. Soeben hatten wir eine Blinddarmoperation. Da heißt es sich vorher waschen. Eine Viertelstunde bürsten, dann in Alkohol und Sublimat baden, dann gibts einen sterilen (keimfreien) Mantel an, ebenso Handschuhe usw.
5. Juli 1918
Herzlichen Gruß. Leider wohl der Letzte aus diesem Lazarett. Zur Front geht's noch nicht. Die Sache kommt so: Nach neuester Verfügung darf keiner länger als zwei Monate im Lazarett weilen, wenn er nicht schwer krank ist (bis vor kurzem war die Frist noch drei Monate). Meine Zeit ist schon vor zehn Tagen abgelaufen. Heute kam nun ein Befehl vom Generalarzt, warum Unteroffizier Beckmann noch im Lazarett wäre? Was nun? Er muß fort. Gehe aber noch etliche Tage (bis vier Wochen) zur Genesungskompanie hier in Rethel. – – –
6. Juli 1918
Morgen gehe ich einige Tage zu einer anderen Station, um mich erst ganz gesund zu machen, meinen Durchfall usw., denn das sogenannte spanische Fieber
______________________________________________________________
[Blatt 15]
haben wir ja alle, meines ist ja bald zu Ende, aber eine kleine Kur tut ganz gut. Einer[seits?] bin ich froh, daß ich den nächsten Ansturm von Arbeit, bald gehts ja los, nicht wieder mitmachen brauche, denn die Arbeit reibt auf und macht die Menschen kaputt. Meine Adresse ist vorläufig dieselbe. Ich schreibe schon.
7. Juli 1918
Bleibe noch hier auf der alten Stelle.
9. Juli 1918
Komme mit in eine neu eingerichtete Station. Unser Arzt nimmt mich mit. Wir schlagen unseren Sitz in der Kathedrale, in der Kirche, auf. Es sind dort über 250 Betten. Das gibt Arbeit.
12. Juli 1918
Nun haben wir unser Quartier in der Kirche aufgeschlagen, nobel. Ein Betrieb, einfach toll. 250 weißbezogene Betten stehen und harren zur Zeit noch der Benutzung. Habe für mich eines in einer stillen Ecke reserviert. Nachts ein alter Beichtstuhl, nimmt natürlich meine Sachen auf. Links ein kleiner Tisch, überm Kopf mächtige Heiligenbilder und die Jungfrau von Orleang [sic] schaut neidisch auf mein schönes Lager, denn sie steht dort steinern und dauernd auf buntem Sockel, hoch am Pfeiler. Unsere Kranken haben wir von der alten Station mitgenommen und auf dem ewigen Weiß der Betten lugt hier und da ein abgemagerter Kopf heraus und betrachtet summend die Umgebung. Zwei Hauptchöre hat die Kirche. In dem einen wird die kleine Messe gelesen, in dem anderen wird geschnitten und genäht. Hier ist also unser Operationssaal. Groß und geräumig, tadellos eingerichtet. 15 Tische, sechs Schränke, drei Operationstische, elektrisches Licht und alles, was notwendig ist, zum Quälen der Menschen. Bald wird ein Betrieb kommen, aber immer wieder verschob sich die Sache, bis einmal und balde sie einschlägt. Mir gehts gut.
______________________________________________________________
[Blatt 16]
Fühle mich wohl und gesund und harre der kommenden Arbeit. Meine Truppe liegt noch immer an alter Stelle, war schon mal rechts mehr eingesetzt und ist etliche Male verschoben, im Wesentlichen ist's aber dieselbe Gegend. Wird jetzt bei der kommenden Offensive mit in erster Linie liegen. Heute ist Freitag, geht morgen die Proz[ession] nach Telgte? – – – –
13. Juli 1918
... Dank für Dein liebes Paketchen. Habe mich recht gefreut, doch mußt du mir nichts mehr schicken, denn du hast es nötiger als ich. Gelt, bei Euch sieht es toll aus. Werde Kartons und Bindfaden zurückschicken. Ist man bei euch auch so hinter den Kleidern her? Es ist doch traurig, daß die Polizei einem schon die Anzüge aus dem Hause holt. Und kommen sie bei uns, dann wirfst du sie glatt zum Hause hinaus. Ich dürfte nicht dabei sein, wenn solche schönen Drückeberger kämen. Möchte es ihnen nicht raten. Hoffentlich ist bald Frieden. Es wird doch immer schlimmer. Doch genug davon. Man darf ja nur denken. Was macht Theo? Glaube, daß es schlimmer ist als er schreibt, denn augenblicklich kommen alle Transportfähigen nach Deutschland.
15. Juli 1918
Unser Hochbetrieb hat angefangen, die Offensive begonnen. Heute früh nach mehrstündigem Trommelfeuer, und was für welches, der Himmel war von den aufblitzenden Mündungsfeuern und den Geschossen weiß bis blutrot, stürmten unsere Truppen die ersten französischen Gräben, scheinbar ohne schwere Verluste. Hoffentlich gehts ohne Hindernis weiter zum baldigen Frieden.
17. Juli 1918
Bei vieler Arbeit d[ir?] herzliche Grüße.
19. Juli 1918
In der Zeitung kannst du allerlei lesen, gelt. Viel Arbeit. Die Wahrheit werdet Ihr nicht so hören. Ich glaube, es war alles verraten. Traurig. Doch unsere Heeresleitung ist ver-
______________________________________________________________
[Blatt 17]
nünftiger als die feindlichen und stellt eine Sache ein, wenn's nicht klappt. Ich kann mich freuen, daß ich hier bin, denn mein Reg[imen]t ging als erstes mit vor, und – – – – ... – Die Offensive war verraten, ganz Rethel wußte tagelang vorher davon. Franzmann traf entsprechende Gegenmaß[nahmen?]. Im tollsten Sperrfeuer ging unsere Kompanie vor. Gas. Die Infanterie Begleit[batterien?] wurden sofort zusammengeschossen. Dann saßen unsere in den französischen Unterständen, die Franzmann dann mit seinen gefürchteten Stollenbrechern entzwei schoß. Manch einer wurde verschüttet. – – –
23. Juli 1918
Die Tage laufen so schnell, die Gedanken sind immer zu Hause. Augenblicklich nicht so viel Arbeit. Die große Sache ist schnell eingeschlafen. Ewig schade, Franzmann wußte Bescheid und wir haben ihn unterschätzt. Doch das Spiel ist noch nicht zu Ende. Müssen damit rechnen, daß die Kirche nun bald aufgelöst wird, dann gehts zur Truppe zurück. Habe aber Aussicht, erst auf Urlaub zu fahren. – – Hatten in letzter Zeit viel von Fliegern zu leiden.
25. Juli 1918
Augenblicklich mächtige Arbeit. Haben die ganze Kirche voll Gaskranke[r] liegen. Noch immer kommt Zuwachs. Franzmann hat gestern Abend die Feldlazarette hinter der Front beschossen. Auch mehrere Schwestern sind tot. Nun sind die Lazarette geräumt. – Du hast also auch die spanische Krankheit. Hoffentlich hast du die Tabletten erhalten, die ich schickte. – – –
28. Juli 1918
Viel Arbeit, d. h. die meiste hab ich, viel Schreibereien. Habe heute wieder 20 entlassen und 50 zu anderen Lazaretten fortgeschickt. Manche armen Kerle habe den ganzen Körper voll faustgroßer und dicker Blasen. Viele sterben, [er]sticken, hier. Andere den ganzen Tag am Sauerstoffschlauch. Heute ist Sonntag.
______________________________________________________________
[Blatt 18]
War heute zu den h[ei]l[igen] Sakramenten. –
31. Juli 1918
Heute vor einem Jahr trafen wir uns in Osnabrück. – – – Damals dachte noch niemand daran, daß wir noch heute hier sitzen müssen. Gestern überraschte mich dein Paketchen mit dem Kuchen. Habe mich recht gefreut. Nur tust du mir immer leid, daß du dir die Sachen entziehst. – – – – Mir gehts gut. Arbeit ist Gewohnheit und fällt nicht mehr schwer. – – – – Mit der Zeit wird man derart abgestumpft, daß man sich nichts mehr dabei denkt. Traurig, aber wahr. Es wird Zeit, daß der Krieg aufhört. – –
2. August 1918
Heute viel Arbeit, denn letzte Nacht waren französische Flieger-Geschwader hier und hausten tüchtig. Es war eine mächtige Knallerei und schön anzusehen. Um 4 Uhr kamen etliche Verwundete von Fliegerbomben und so haben wir dabei mehrere Bauchschüsse und Kopfverletzungen, die sofort operiert werden müssen. Gestern traf ich auf zwei Kompanie-Kameraden, die auch leicht verwundet waren. Habe mich recht gefreut, mal über alles reden zu können. Urlaub bekomme ich sofort, wenn ich zur Truppe gehe. – – Übrigens so schlimm war [es] nun nicht bei der letzten Offensive. Als unsere auf den ersten Widerstand stießen, wurde alles sofort eingestellt und so wurden unzählige Opfer gespart.
4. August 1918
– – Ein Tag läuft wie der andere. Heute ist Sonntag, doch nicht für uns, wir haben immer unsere Arbeit. In der letzten Offensive hatte meine Kompanie viele Verluste, aber Gott sei Dank nur wenig Tote. Die beiden Kameraden wollten wieder zur Kompanie und wurden hier eingekleidet. Habe beide erst ordentlich gefüttert und dann wurde erzählt bis in die Nacht hinein. Urlaub hätte ich schon lange bekommen, wäre ich bei der Kompanie, doch der läuft nicht weg
______________________________________________________________
[Blatt 19]
und hier sitze ich noch gut.
6. Juli 1918 [sic]2
Dasselbe Leben und immer noch keine Aussicht auf Frieden. Doch darf man nicht den Mut verlieren, sonst wäre es schlimm. Hast du nun die spanische Krankheit überstanden? Habe in letzter Zeit recht unregelmäßig von dir die Post bekommen.
8. Juli 1918 [sic]3
Guter Dünger. Viel Arbeit.
11. August 1918
– – – Bedauere augenblicklich die armen Kameraden vorne. Fliegerbesuch, d. h. feindliche, die Eier legen (Bomben werfen) kommen in jeder Nacht. Es ist draußen ein wunderbares Schauspiel, das schönste Feuerwerk. Bloß, wo die Dinger von oben herabsausen, da ist dicke Luft und manch einer wird getroffen. Sonst läuft das Leben rasch dahin. Gestern hab ich ein kleines Paketchen mit Butter abgeschickt. Bekam es von Hattstedt und brauchs doch nicht. Sonst nichts Neues, was man schreiben darf.
13. August 1918
Mir gehts gut, abgesehen von etwas Durchfall, den wir zurzeit alle haben. Doch hier gibts ja Mittel und Verpflegung ist [so] gut, wie ich [sie] in der Kriegszeit wohl nicht wiederbekomme. Ob wir wohl noch in diesem Jahre Frieden bekommen? Urlaub gibt's nur mehr 14 Tage. Hier sonst derselbe Betrieb. Einliegend eine kleine Aufnahme. Ist nicht besonders, denn mein Zeug ist durch mehrfaches Desinfizieren nach dem Auftreten von ansteckenden Krankheiten gerade nicht besser geworden. – –
14. August 1918
Heute vor drei Jahren war ein böser Tag. Vor einem Jahre war ich bei Mutter und um diese Zeit fuhren wir beide nach Rothenfelde. Leben hier gleichmäßig. An der Front gehts stellenweise böse her. Die Stimmung ist nicht gut. Hoffentlich ist bald Schluß. – Bei Rethel ist eine große Verteidigungsstellung ausgebaut, die Aisne kann gestaut werden und weite Gebiete kämen dann unter Wasser. Die Briefe werden streng kontrolliert.
______________________________________________________________
[Blatt 20]
18. August 1918
Vor einem Jahr fuhr ich wieder zur Front. Eine Überraschung war's, als [es] bei Riga losging. Heute ist Sonntag, an dem man früher aufsteht. Dann gehen wir um 630 Uhr zu den Patern in die Messe. Überhaupt spielt sich das ganze Leben bald in deren Gesellschaft ab. Darfst sie dir nicht als so überaus fromme Brüder vorstellen, es geht bei uns oft lustig zu und mancher, besonders von anderer Seite, bekommt ein ganz anderes Bild von diesen gefürchteten Herren. Mir gehts gut. Hatte in den letzten beiden Tagen eine kleine Mandelentzündung, ist ziemlich vorüber. Habe tüchtig gegurgelt, besonders da wir vor drei Tagen drei Diphterie-Fälle in der Kirche hatten. Nun ist alles desinfiziert. – Beim schwersten Fall machten wir den Kehlkopfschnitt. Ich assistierte. Als der Schnitt gemacht war, bekam der Erstickende Luft und wie ein Springbrunnen spritzten uns die Bazillen über und über. Waren voll. Ständig überschüttet. Es war schlimm. "Ja, wir sind fertig!" sagte der Arzt, Dr. Jakobi, bei dem ich recht gut stand. Wir arbeiteten ruhig weiter. Dann aber wurde gereinigt usw. Die anderen ließen sich sofort impfen. Ich tat's nicht, trotzdem ich's am meisten notwendig hatte. Hat [sic] aber gut gegangen. Sonst dasselbe. Traurige Fälle erlebte man immer. Ein Kamerad hatte sich beim Gewehrputzen durch den Leib geschossen. Ich nahm ihn auf, bestellte alles, vor der Operation nahm ich die Personalien [und?] Tatbericht auf. Er erzählte mir noch eben, daß er sich selbst getroffen hätte. Er war am Sterben. Drei Tage später kam die Gerichtskommission. Ich mit zur Leichenhalle. An 20 belegte Särge standen übereinander. Schon zu. Schrecklicher Geruch.
______________________________________________________________
[Blatt 21]
Wir suchen den Sarg. Dem leitenden Offizier wird schlecht. Der Franzmann, der dieses Geschäft unter sich hat, klopft brutal die Kiste los, ich muß feststellen, daß es der Kamerad ist, daß die Wunde stimmt. Dann heraus aus dem Raum. Werde vereidigt. Das Gerechtigkeit ist, möge geschehen. Ein anderer hat irgendeinen Steckschuß in der Brust. Blutung. Der Arzt kann nicht finden, zerschneidet den ganzen Kerl, endlich die Leber, total zerfetzt. Rettungslos. Die Brust mit Tamponade ausgefüllt. Der Mann hat keine Schmerzen mehr, freut sich und glaubt sich bald besser. Darf alles essen, denn er hat noch zwei Tage zu leben. Er freut sich, erzählt, und wir wissen. Dann nach zwei Tagen verfällt er plötzlich, bald ist er tot, traurig. Ein junger Bengel, Bruststeckschuß in der Lunge, wird und wird nicht besser. Nur Knochen. Endlich Rippenresektion. Auch dem Rücken eitert die Kugel. Merkliche Besserung. Schick ihn nach Deutschland. Er schreibt mir vom Lazarett. Unterwegs war das Lazarett von französischen Fliegern überfallen. Es soll schrecklich gewesen sein. Ein armer Kerl, der nur noch Knochen war, nur in Watte verpackt, andere zwischen den Verbänden 3 cm lange Würmer, Kopfschüsse, tausendfach, schrecklich. Wer Elend und Jammer mitmachen will, der geht in ein Kriegslazarett, ein Durchgangslazarett, wo die schwersten Fälle liegen bleiben. Es ist nachts, ein großer Transport wird eingeliefert, direkt vom Feld. Ich gebe Anweisungen, wohin. Einen schweren Bauchschuß lege ich hinter einen Pfeiler. Mache dann die Runde mit Dr. Jakobi, zeige ihm die Fälle. Wir operieren. Ich vergesse den Bauchschuß. Nach zwei Tagen finde ich ihn. Die
______________________________________________________________
[Blatt 22]
Schwester hat ihm nichts gegeben. Nur nassen Lappen auf der Zunge. Ich melde. Zuerst Anschnauzer. Bringen ihn auf die Bank. Der Mann ist gerettet. Wird nicht operiert. In der Nacht hätten wir ihn sofort aufgeschnitten. Er wäre sicher nicht mehr da, sagt mir der Arzt. Also durch meine Vergeßlichkeit gerettet. Ich war der bestgesehene Mann im Lazarett, denn ich schickte die Leute ja weiter. Jeder noch so schwere Fall wollte gern nach Muttern, und manchem habe ich geholfen. Die Sachen aus der Apotheke bestellte ich, der Arzt mußte zwar erst unterschreiben, aber meist tat ich's in seinem Namen. Kamen Flieger, dann stand ich zumeist unter dem gotischen Kirchenportal und sah mir die Geschichte an, bis Franzmann mir mehrere unmittelbar vor die Nase setzte, dann war's alle. Unter dem Turm der Kirche war der schönste Platz. Eingang von der Kirche, ringsherum Mauern, darüber der hohe Raum. Große Halbbogen warfen Licht in die Mitte, wo die Felsen herausragten. In der Mitte stand ein alter Galgen. Unterm Galgen, bei einer Kanne Bier ‒ Raketen, Scheinwerfer, Bomben, gibt es wohl etwas Romantischeres?
Nachts um 12 Uhr Fliegerabwehrgetöse.
23. August 1918
Ist hier heute eine mächtige Hitze. Na, ein schönes Bad in der Aisne tut gut. ‒ Doch vorsichtig sein. Inmitten der Stadt ist ein großer Häuserkomplex abgebrannt. Auch eine gewaltige Mühle an der Aisne, dahinter ein gewaltiger, tiefer Kolk. Dort spring ich hoch hinein, und als ich aufgleite, habe ich neben mir eine
______________________________________________________________
[Blatt 23]
spitze, eiserne Stange, von der abgebrannten Mühle ins Wasser gestürzt, dicht unter der Oberfläche aufhörend, im Wasser stecken. Habe Glück gehabt, hätte mich unter Wasser bei lebendigem Leibe aufspießen können. In diesen mondhellen Nächten jede Nacht Fliegerbesuch. Gestern setzten sie etwa 100 m von uns weg sechs Bomben. Es ist immer ein Heidenspektakel und manches ängstliche Herz rutscht dabei in die Kniekehlen. Die Fliegergefahr wird auch immer schlimmer. Viel Zivilbevölkerung wird getroffen. Jede Nacht kommen sie. ‒
20. August 1918
‒ ‒ Vorige[s] Jahr saß ich wieder in Rußland, heute hier, im nächsten Jahr bei Dir. Natürlich feiere ich meinen Namenstag auch ein wenig. Gestern war ich mit unserem Stationsvorsteher (guter Freund) bei einem Bekannten, tadellosen Wein, der Gute hatte Verbindungen. War mal etwas anderes. Die Schwestern sorgten heute für 1a Essen und heute Abend gehe ich sogar in's Theater. Also für weltliches Vergnügen ist gesorgt, in der Kirche bin ich zurzeit mehr als Du, Tag und Nacht, schlafe sogar darin, direkt unterm Beichtstuhl, aber gespukt hats doch noch nicht.
24. August 1918
Nach der unheimlichen Hitze der letzten Tage nun ein Witterungsumschlag. Die Frische und Kühle ist doch besser als die Bärenhitze. Nur in der Kirche war es noch angenehmer. Aber in den Baracken, wenn die Sonne darauf schien, am Nachmittag 39–43 °C und da schwer krank sein, mit Eiterverbänden. ‒ Also mein Butterpaket hast du bekommen, aber daß du sie aufsparst, das solltest Du nicht tun. ‒ An den Fronten geht es bös her, es ist ein schwerer Kampf. Doch glaube ich, die Feinde
______________________________________________________________
[Blatt 24]
müssen schwere Verluste haben. Ob sie nicht zur Einsicht kommen oder ob wir nicht wollen? Es kann noch in diesem Jahre Frieden geben, aber wer weiß.
26. August 1918
Gestern deinen Kuchen erhalten. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Gestern das Bild mit den beiden Stationsvorstehern geschickt. Der Dicke ist ein guter Freund, aus der Aachener Gegend.
28. August 1918
Heute Augustinus und Tines Geburtstag. Meine Mandelentzündung ist längst vorüber. ‒ ‒ ‒ Mir gehts gut. ‒ Also du hast auch das Urlaubsfieber? Ich auch. ‒ ‒ ‒ Du schreibst von Schuhen, bringe schon gute mit. ‒ ‒ Schreibst von neuen. Das wollen wir streichen. Kauf dir lieber etwas Ordentliches zu essen, dann hats noch Zweck. Geld spielt keine Rolle. Deine arme Kochmaschine tut mir Leid. Ja, wenn man manches voraus wüßte. ‒ ‒ Anton Thiemann hat ja einen schönen Heimatschuß. ‒ Nun gehts in den Herbst, hier setzt schon die Regenperiode ein. ‒ ‒
31. August 1918
Wohlmöglich [sic] läuft meine Zeit nun ab. Unser Stationsarzt fuhr heute auf Urlaub. Da wird die Station (war ja nur für die Offensive eingerichtet) bald aufgelöst, da kein Arzt dafür da ist. Dann sind wir überflüssig. Wird in den nächsten Tagen entschieden. Die ganze Welt spuckt nach Urlaub. Alles will fahren. ‒ ‒
[Fortsetzung Blatt 24 nächstes Kapitel]
______________________________________________________________