Rheinreise 1925

In diesem Kapitel finden Sie Beckmanns Erzählund über seine Rheinreise aus dem Jahr 1925, die den Originaltitel "Unsere Rheinreise 1925" versehen ist. Das Kapitel beginnt mit zwei Tagebucheinträgen und wird danach in Form eines Fließtextes weitererzählt.

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[Blatt 118] 

Unsere Rheinreise 1925.

22. Juli 1925

Mittwoch. Kattenvenne. Glücklich gelandet. Franz natürlich schon Stock stehen lassen. Der Führer des Wagens bringt in liebenswürdiger Eile denselben wieder. Abfahrt Münster 858. – Münster. Gut angelangt, tüchtigen Appetit. Mutters Butterbrote schmecken bei gutem Münchener Bier. Um 12 Uhr mit Schnellzug nach Köln. Fahrt 9,70 Mk. Im Zug. Soeben abgefahren, Stock aus, Bullenhitze – Hamm – Unna – Hagen 1340, schöne, bergige Gegend – Carmen [sic]1, Schwebebahn – Elberfeld – Köln, Engländer. Zuerst Gesellenverein. Freundliche Aufnahme, Kaffee im Gesellenhaus. 15 Pf. Treffe Theo Melle (Romreise). – Dom besichtigt. Engländer Postenstehen ist ulkig. Suchen Gülker, [können ihn] nicht finden. Abendessen gut geschmeckt, gehen bald schlafen.

23. Juli 1925

Donnerstag. Nach gutem Schlafe in der Kegelbahn soeben an den Kaffeetisch gesetzt. Gestern Abend sprachen wir noch den Generalprüfer Dr. Hirth in seinem Arbeitszimmer und haben unsere Gesellenverein-Ausweise unterschreiben und beglaubigen lassen, denn unsere Reise sollte zugleich eine Studienreise bezüglich des Gesellenvereins [?] sein. Die Kegelbahn, ein Massenquartier, ist provisorisch und fällt mit der Eröffnung des neuen Hauses fort (Kauf 86000 RM). Jeder hat eine Sprung- und Auflagematratze und zwei Decken. Bekomme von Theo Melle eine gute Unterhose. Morgens nach dem Kaffeetrinken Besuch des Kolpinggrabes zur heiligen Messe. Köln [unleserliches Wort] kommen soeben vom Kolpinggrabe. – Heilige Messe, dann das Kolpinglied gesungen. Recht erbaulich und für junge Wanderburschen unvergeßlich.

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  1. Wahrscheinlich meint Beckmann hier die nordrhein-westfälische Stadt Kamen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde diese Schreibweise amtlich festgelegt, zuvor war auch die Schreibweise "Camen" gebräuchlich.

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[Blatt 119] 

Die große Rheinbrücke überquert, dort, wo ich 1915 in den deutschen Rhein spuckte, tat ichs auch heute. Wir fahren gleich Köln – Deutz – Mainz – Castel2 – D-Zug (11,10 RM). Es ist wieder recht warm. Um 1004 fahren wir ab. Mainz. Mittags 14 Uhr. Nach wunderbarer Fahrt am rechten Rheinufer in Mainz-Kastel gelandet. Viel[e] Franzosen. Generalstab liegt hier. Nachdem wir mit der Elektrischen ins Innere der Stadt gefahren, suchen wir Gesellenhaus auf. Mittagessen viel – aber – oha [?] – Nudeln. Es regnet. Gewitter. Durch Vermittlung des Gesellenvereins bekommen wir billig Unterkunft in einem Weinstubenrestaurant (2,50 M[ark] mit Morgenkaffee). Ja, ja. Weinstube aus dem 16. Jahrhundert! Oben, ganz oben, ist auf einer Wendeltreppe erreichbar, mit Übersicht auf Mainzer Schifferdächer und Einblick in 1000 Ein- und Zwei-Zimmerwohnungen, unsere Stube, doch reinlich. – Sind heute Nachmittag in der Stadt herumgebummelt. Im Kurfürstenschloß war Jahrtausendausstellung. Wunderbare Räume. Es regnet in Strömen. Franzosenwache, Trompetertor geht, sonst traurig. Die Disziplin fehlt. Alles wimmelt von Franzmännern. Die Marokkaner sind ein zuchtloser Chor. – Wir gehen früh schlafen. Nach einem guten, billigen Abendessen (Brötchen, Aufschnitt, Schoppen Bier) gehen wir mit einem 0,5 l Rheinwein beladen, früh, 21 Uhr in die Falle. Das Wasser ist kühl, aber trocken. Am andern Morgen um 810 Uhr fahren wir mit einem Rheindampfer nach Rüdesheim 160 Mk. Erste Station Biebrich.
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  1. Gemeint ist hier vermutlich Mainz-Kastel, heutiger Ortsbezirk Wiesbadens.

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[Blatt 120] 

Schleppdampfer mit fünf bis acht beladenen Kähnen ziehen vorüber. Nächste Stationen Eltville, Erbach, Hattenheim, Freiweinheim [sic]3, Glisenheim [sic]4, Rüdesheim. Auf dem Wasser ein reger Verkehr. Gewaltige Flöße, vom Dampfer gezogen, bewegen sich stromabwärts. Überall Weinberge, Ruinen und Denkmäler. Schöne Gegend.

24. Juli 1925

Lorch. 4 Uhr. Nachdem wir in Rüdesheim den Dampfer verlassen, klettern wir zum Niederwalddenkmal empor. Links haben wir die Zahnradbahn, immer durch Weinberge, die Winzer ziehen schwerbeladen mit Kupfervitriol in die Gärten, um die Reben zu bespritzen. Nach drei bis vier Stunden sind wir oben, es regnet. Das Nationaldenkmal ist gewaltig. Dann geht der Abstieg los. Rossel, eine zerfallene Burgruine. Franz will sie niederlegen. Aussicht glänzend auch Bingener Mäuseturm. An der Zauberhöhle vorbei weiter nach Aßmannshausen. Langweiliger, anstrengender Abstieg. Der Ort selber auf Kurbetrieb eingestellt. Wir gehen weiter. Auf der anderen Seite des Rheins, die wunderbar gelegenen Burgen Rheinstein, Reichenstein, Sonneck, Hoheneck, Fürstenberg. Das Wandern im Regen ist nicht schön und müde und hungrig langen wir in Lorch an. Dort lassen wir uns Spiegeleier gut schmecken. Das Wetter klärt sich auf. Wir fahren 1625 Uhr nach Kaub mit der Bahn. In Kaub haben wir zwei Stunden Aufenthalt, bis der Rheindampfer kommt. Dann gehts in herrlicher Fahrt den Rhein abwärts bis Boppard. Schöner Ort, viel Kurbetrieb. Unterwegs kommen wir an der Lorelei vorbei. In Boppard wird das Gesellenhaus aufgesucht.

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  1. Frei-Weinheim.

  2. Es konnte nicht abschließend geklärt werden, welchen Ort Beckmann hier meint. Es erscheint aber logisch, dass es sich hierbei um Geisenheim handelt.

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[Blatt 121] 

Wir schlafen dort. Zehn Mann im Saal. Essen vorher im Restaurant (Eier, Kartoffeln, Salat). Morgen früh solls weitergehen zum Stolzenfels.

25. Juli 1925

Es regnet in Strömen. Denke, daß [es] sich bald aufklärt. Nach einem guten Frühstück, Brötchen mit Leberwurst, wollen wir mit dem Zuge nach Kapellen-Stolzenfels und kommen eine Minute zu spät. Zwei Stunden warten. Es regnet Bindfäden. Schade. Wenn der Winzer hier seinen Wein ausschenkt (den neuen), steckt er als Schild eine graue Tanne oder Fichte unter sein Namensschild. Die Frauen tragen ihre Waren in großen Körben auf dem Kopfe. Kapellen-Stolzenfels. Mit dem Zuge in Kapellen angelangt, gehts im Regen [in] den Stolzenfels hinein. Wunderbare Burg, wie wohl an Schönheit und Größe keine zweite am Rhein. Können uns auch hinaufreiten lassen. Oben macht man gerade Mittagspause bis 14 Uhr. Können leider nicht besichtigen. Also lassen wir die Führer essen. In Kapellen lassen wir uns mit kleinem Motorboot nach Oberlahnstein übersetzen (25 Pf.). Gleich fahren wir mit dem Rheindampfer nach Koblenz. Es regnet Bindfäden. Koblenz. Der Regen wird sich legen. Suchen Gesellenhaus. Gute Sache; Essen bon, 70 Pf., Glas Wein 20 Pf. Aufnahme freundlich. – Soeben vom Stadtbummel zurück. Kaiser-Wilhelms-Denkmal an der Mündung der Mosel (Deutsche Eck) großartig und gewaltig, dann mit der Fähre nach Ehrenbreitstein, mit der Elektrischen nach Arenberg. Der Pfarrer Strauß hat die ganze Kirche und Umgebung in Mosaik ausgelegt.

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[Blatt 122] 

Glänzende Gruppen und Kapellen. Das Leiden Christi, Rosenkranz, Kreuzweg, Sieben Schmerzen Maria, Kapellen aller Art, Lourdes usw. Sehr lohnend. – Mit der Elektrischen zurück, über die Schiffsbrücke. Überall recht lebhafter Betrieb. Nachdem wir uns noch einige Zeit das Leben und Treiben der Stadt angesehen, gehen wir zum Essen (im Gesellenhaus). Heute Nachmittag war trockenes Wetter. Morgens um 6 Uhr heraus. Wir gehen zur berühmten Castor [sic]-Kirche5 zur heiligen Messe. Gleich fahren wir mit dem Dampfer nach Rolandseck (2,80 RM). Auf Ehrenbreitstein wacht die Trikolore. – Rolandsbogen. Nach einer wunderbaren Rheinfahrt (Koblenz – Neuwied, Andernach, Linz6, Remagen, Unkel am Rolandseck bei schönstem Wetter gelandet. Wir klettern zum berühmten Rolandsbogen hinauf. (Wieder aufgebaut von Freiligrath). Herrliche Aussicht nach beiden Seiten. Gegenüber der Drachenfels. Dort wollen wir gleich hin. Mit der Rheinfähre lassen wir uns mit zehn Autos zusammen übersetzen. Bombenbetrieb. Kur- und Durchgangsort zum Drachenfels. In Königswinter ist Schützenfest. Wunderbar sind die Straßen geschmückt mit Fähnchen. Wir essen erst. Wir fahren mit der Bahn jenseits Bonns nach Beuel, dort über die Brücke weiter nach Bonn. Am Abend gehts mir der Bahn weiter nach Köln, bummele in der Stadt herum und schlafen für 35 Pf im Saal (Gesellenhaus-Massenquartier).

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  1. Wahrscheinlich meint Beckmann die Basilika St. Kastor zu Koblenz.

  2. Linz am Rhein.

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[Blatt 123] 

27. August 1925

Montagmorgen besuchen wir noch den Dom St. Geriokirche [sic?], alte Basilika aus dem 12. Jahrhundert. Vom Straßenklappern wird man müde. Heute Nachmittag haben wir ein Rheinbad genommen. Das Wasser war recht warm, die Strömung stark. Dann gingen wir (unterwegs Brötchen und Leberwurst gekauft) zur Jahrtausendausstellung. Das ist eine Ausstellung wie wohl sonst keine in Deutschland, glänzend, aber man ist fertig, wenn man einige Stunden gegangen ist und gesehen hat. In der Ausstellung war auch ein altes Kölner Tünnes Marionettentheater aufgebaut. Stündlich wurde gespielt, alles brechend voll. War schön (Prinzessin, vom Zauberer geraubt, wird durch Tünnes befreit). Wir haben noch nicht alles gesehen. Wollen morgen noch mal zur Ausstellung. Auf dem Rückwege durch die Hohe Straße waren wir noch bei Titz [sic]7 vor. Gewaltiges Warenhaus.

28. Juli 1925

Köln. Gestern Abend waren wir zum Rhein. Er bietet einen wunderbaren Anblick im Scheine der unzähligen Lichter. Dann sprachen wir bei Gülker vor. Er war leider nicht zu Hause. Nach einem gemütlichen Straßenbummel durch die Hohe Straße ziehen wir müde nach Hause und schlafen auf der Kegelbahn. Das Wetter ist launig, es schauert. – Nach unserem Morgenkaffee ging unsere Reise noch einmal zur Jahrtausendausstellung. Sahen heute Bürgen (modelliert) und die Dom-

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  1. Kaufhaus Tietz unter Leitung des jüdischen Kaufmanns und Warenhaus-Unternehmers Leonhard Tietz.

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[Blatt 124] 

und sonstigen Kirchenschätze. Wunderschöne Sachen, alt und kostbar. Alte Bibeln und Handschriften. Der Osnabrücker Kamm Karls des Großen ist auch dabei. Nur wird man zu müde und man kann doch nicht alles sehen. Dazu braucht man Tage. Um 12 Uhr ziehen wir ab. Gehen nach Titz [sic]8 und Gürzenich Lokal (Gewaltiges Vereinslokal der Kölner), dann zum Kolpinghaus zum Essen. Die Karte von meiner l[iebsten?] Maria war hier. Habe mich recht gefreut. Gleich wollen wir weiter. Wir fahren mit dem Zuge nach Neuß, von dort mit dem Postauto nach Glemen9, dort ist Düta bei einer Freundin. Mächtiger Bauernhof (gepachtet). 400 Margen. Alles mit Maschinen. Recht interessant. Wir essen, trinken, schlafen gut. Heute Mittag 1230 Uhr fahren wir mit dem Auto wieder nach Neuß. Von dort mit der Elektrischen nach Düsseldorf und suchen im Gesellenhaus Quartier. Alles überfüllt. Wir fahren mit der Bahn weiter nach Dortmund. Übernachten dort im Gasthof zum römischen Kaiser (3 Mk). Donnerstagmorgen. Es regnet in Strömen. Mittags hört der Regen auf. Mit der Bahn geht die Fahrt nach Münster und dann weiter nach Kattenvenne. Mit dem Auto gehts nun wieder der schönen Heimat zu.

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  1. Kaufhaus Tietz unter Leitung des jüdischen Kaufmanns und Warenhaus-Unternehmers Leonhard Tietz.

  2. Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Beckmann könnte den Ort Glehn gemeint haben, welchen Ort er genau meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.