Januar – Februar 1918

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[Überschrift nach originalem Inhaltsverzeichnis: 1918]

[Fortsetzung Blatt 155] 

3. Januar 1918 

Frankreich, Neuville. Am Abend des 27. Dezember 1917 um 22 Uhr gehts los. Zur Bahn, Bahnhof Kaiserwald, dort in Viehwagen verladen, dann geht die Reise, bei der Kälte, los, über Mitau, Radziwilzki1, Schaulen, Kowno nach Eydkunen [sic]2, dort große Entlausung. Wunderbare Einrichtung, bekommen ganz neue Wäsche und auch Essen. Dann weiter. Königsberg in dritter Klasse. Einen Tag kommen wir in die vorderen, geheizten Wagen, den anderen Tag in die kalten, hinteren. Es geht über Dirschau, Richtung Berlin, dann Thüringen, Marburg, Kassel, Lahntal entlang, nach Koblenz, nach Trier, Diedenhofen, wieder zum Norden Longwy, Montmedy, Sedan, Charleville bis Tournes, dort ausgeladen am 2. Januar 1918. Morgens nach zweistündigem Marsch sind wir in Neuville, dort in den Ställen einquartiert auf kaltem Boden. Es ist kalt. Unser bestimmtes Quartier brannte bei unserer
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  1. Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.

  2. Eydtkuhnen.

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[Blatt 156] 

Ankunft ab. Neujahr verlebten wir in der Bahn, bei einem trockenen Stück Brot. Miese Stimmung. Hoffentlich sind wir bald bei Muttern. –

Briefauszüge:

2. Januar 1918 

Heute morgen in Neuville (9 km südlich von Charleville) angekommen nach einer Bahnfahrt von sechs Tagen und sieben Nächten. Hier ist's Winter.

4. Januar 1918 

Sind gesund, wie ein Fisch im Wasser, hier herrscht strenger Winter, bald kälter als in Rußland. – Werden in der nächsten Zeit wohl Besichtigung vom Kronprinzen haben.

6. Januar 1918 

Heute so halb dienstfrei, sonst aber strengen Dienst. In nächster Woche gehts in Stellung. Es ist kalt, recht kalt. – Wir liegen in einem französischen Dorfe, rings von hohen Bergen eingeschlossen und von aller Welt abgeschnitten. Diese französischen Dörfer sind elendige Kaffs, die mit unseren Dörfern nicht gleichkommen, den russischen ähnlich und schlechter sind.

8. Januar 1918

Nachdem es 1,5 Tage geregnet hat, ist heute alles wieder weiß und die Luft kalt. Die Post kommt unregelmäßig an. Pakete nicht. Sonst nichts Neues. Jetzt sind wir wenigstens unsere Läuse los. In letzter Zeit war es auch nicht mehr zum Aushalten. Auf der Herfahrt wurden wir in Eydkuhnen [sic]3 entlaust. Dort können zu gleicher Zeit 2000 Mann entlaust werden. Alles wurde entsäugt [?], jedes Stück, dann bekamen wir reines, nagelneues Zeug (Wäsche und Strümpfe), gutes Essen und in sechs Stunden ging die Fahrt weiter. Alle acht Stunden wurden wir verpflegt, meist warmes Essen. So gings sieben Nächte und sechs Tage. – Gleich geht's zum Schießen. –

10. Januar 1918 

Nach einigen Tagen starken Frostes ist heute Tauwetter eingetreten. Der Schnee liegt so hoch, daß man nicht glauben sollte, in Frankreich zu sein. Heute bekam ich meinen Stiefel fertig gemacht, so kann man die Näße bei trockenen Füßen noch ab. Mir gehts gut.

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  1. Eydtkuhnen.

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[Blatt 157] 

Haben jeden Tag stramm Exerzieren, hauptsächlich Gefechtsausbildung. Verballern eine Unmenge Munition, nur zu Übungszwecken. Deine Karte vom 30. Dezember bekam ich gestern. Die Post wird wohl noch erst zum Osten gegangen sein. Von heute an bekommen wir mehr Brot, 750 g pro Tag. Da kann man mit aus. Mit Weihnachten gibt es ja auch mehr Löhnung. 7 RM für Gemeine alle zehn Tage. Mit Rußland wird nun wohl bald Friede: – – –

11. Januar 1918 

Heute morgen Schießen, draußen ist ein mächtiges Tauwetter, dabei Glatteis, rein schlimm. Morgen ist große Divisions-Übung. Vorläufig bleiben wir noch hier und kommen wohl erst am 21. in Stellung. Gestern Abend bekam ich Mutters Weihnachtsbrief von Rothenfelde und den vom 4.

13. Januar 1918 

Dasselbe Leben. Abwechselnd gibts Schnee, dann tauts, Regen, Glatteis. Gestern hab ich kleine Paketchen abgeschickt und ein Paar Strümpfe und ein Tagebuch. Will nicht alles mitschleppen und Strümpfe hab ich genug, auch Wäsche. Die Post kommt regelmäßiger.

15. Januar 1918 

Gute Gesundheit, Regenwetter. Werden beim besten Willen nicht krank. Wollens alle gern werden, aber nichts zu machen. –

17. Januar 1918 

Sitzen augenblicklich alle in der Unterhose und trocknen das Zeug, denn heute hatten wir große Regiments-Übung und wurden dabei naß bis auf die Haut. Sonst gehts gut. Gestern war ein unheimlicher Sturm, der sämtlichen Schnee weggeschmolzen hat. Über Nacht war's kalt und nun immer Regen.

18. Januar 1918 

Mächtiges Sauwetter. Der ewige Regen hat den Lehmboden derart aufgeweicht, daß man jedes Mal, wenn man heraus muß, die Stiefel abwaschen muß. [Unleserliches Wort] spricht von Kursus und Weiterkommen. Ist wichtig, aber noch nichts für deinen Beruf, denn erstens haben wir einen alten aktiven Hauptmann und Feldwebel, da gibts keinen Schmud[?]4, sondern
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  1. Ähnlich wie "Schmuddel" (Dreck)?

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[Blatt 158] 

strammen Dienst, zweitens sind in der Kompanie noch ältere Einjährige [?], und die haben natürlich den Vorzug, drittens kann es mir vollständig gleichbleiben, ob mit oder ohne Treffen. Ich habe den Krieg mit seinen Begleiterscheinungen gefressen und hoffe nur auf baldigen Schluß.

20. Januar 1918 

Augenblicklich schönstes Frühlingswetter. Am 24. [sic] kamen wir nach vorne. Fuhren fünf Stunden mit der Bahn. Dann geht's zehn Tage vorne, zehn Tage in zweiter Linie. Wir kommen nicht in eine böse Ecke, habe nur keine Angst, habe das Gefühl, daß es mir gut geht und darum keine Sorgen. Erwarte noch immer die rückständigen Pakete. Gestern hörte ich, daß bei Osnabrück ein schweres Eisenbahnunglück passiert sei. Liegen noch immer im selben Ort. Gestern hab ich meine Extramütze nach Haus geschickt, hatte mir eine neue machen lassen, meine alte war in der Schlacht bei Riga in die Brüche gegangen, hier dürfen wir keine mehr tragen. Kostete damals 4 Mk, unser Komp[anieführer?] mir gemacht. Im Laden kosten sie schon 14 Mk.

21. Januar 1918 

Schönstes Regenwetter. In Rußland ist ja mal wieder scheußliche Temperatur gewesen. Freuen uns alle, daß wir die Kälte nicht mehr mitmachen brauchen. Hier haben wir mehr mit dem Dreck zu leiden. Alles ist Lehmboden. Der Regen weicht ihn auf und der Saum ist da. Habe jetzt heile Schuhe und Stiefel. Mir gehts gut. Sitzen in aller Abgeschlossenheit, mitten zwischen hohen Bergen, wo man das Klettern bei den täglichen Übungen erlernt.

22. Januar 1918 

Dasselbe, Frühlingswetter mit viel Regen. Paketchen sind noch nicht angekommen. –

25. Januar 1918 

Grüße. Kann leider nicht mehr sehen. Morgen mehr. Gestern waren wir unterwegs. Schönstes Wetter.

26. Januar 1918 

Herzlichen Gruß aus dem Champagne-Dreck. Das heißt, sind augenblicklich nicht im Graben, also in der Reserve, liegen im "Mühlheimer Waldlager". Luft ist bedeckt, gestern
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[Blatt 159] 

wars schön, reinste[r] Frühling. Die Nächte sind kalt. Im Allgemeinen wird der Winter vorbei sein. Gestern war die Gefechtstätigkeit recht lebhaft. Der Himmel hängt voll von Leberwürsten, von Fesselballons, die überall stehen. Viele Flieger, unheimlich hoch, suchen das Gelände ab, und von der vielen Fliegerbeschießung war der Himmel ganz mit den kleinen weißen Schrappnellwolken bedeckt. Mir gehts gut. Schrieb neulich, wir bekämen mehr Brot, doch es wieder beim Alten geblieben.

29. Januar 1918

Gestern war S[eine?] M[ajestäts?] Geburtstag. Heute sind zwar einige Beförderungen und EK heraus, für mich wird auch schon kommen. Kann mich augenblicklich mit vielen trösten. Das Wetter ist nun schön. Morgens ist noch kalt. Oma hat einen schlimmen Finger. Bis zum 4. ist Urlaubsperre. Der Güterverkehr soll geregelt werden.

31. Januar 1918

Habe gestern Abend gelebt, bekam das Weihnachtspaket von Rothenfelde. Zwei Monate unterwegs gewesen. Da es gut verpackt war, ist alles gut geblieben, die beiden kleinen Kuchen und die Äpfel. Jetzt erst kommen die großen Paketchen an. Vieles ist verdorben. Das Wetter ist nebelich [sic], sonst schön. Für uns ist das schöne Wetter am gefährlichsten, dann gehts immer bum-bum. Augenblicklich haben wir wenig Dienst. Bin in den letzten Tagen a[ls?] Lebensretter bei Gasvergiftungen ausgebildet und sollte Truppführer werden. Heute bin ich abgewimmelt, da ich Brille trage.

1. Februar 1918 

Eins kommt nicht allein. Gestern Paket von Rothenfelde, heute ein ebenso großes von Melle. Auch noch gut, mit Leberwurst, Kuchen, Apfel und Butter. Die Äpfel waren zwar verfroren, schmeckten aber noch gut. Hier dasselbe Leben. Verpflegung ist gut. Bekommen viel Fettigkeiten, für drei Tage gabs gestern 65 g Butter, 65 g Fett, 125 g Marmelade, 50 g Leberwurst und 100 g Schmalz-
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[Blatt 160] 

ersatz, also bedeutend mehr als früher. Ist in Osnabrück Generalstreik ausgebrochen? Hier wird viel politisiert.

6. Februar 1918 

Sitze im Stollen auf der Treppe und schreibe. Draußen ist zurzeit ruhiger, es regnet. Eine nette Suppe steht im Graben. Dünnflüssiger Schlamm, den wir uns bemühen, mit Eimern und Spaten herauszuschippen. Sauig, bespritzt mit dem weißen Kalkschlamm und beklebt fingerdick mit dem zähen Dreck, kehren wir in den Stollen zurück, es ist das Leben eines Maulwurfes, nur mit dem Unterschied, daß wir uns dabei zusauen, daß der eine den andern nicht mehr kennt. Und draußen regnet es, es wird mit allem noch schlimmer werden. Gestern war schönes Wetter, so schön, daß wir gerne draußen gewesen wären. Aber die eisernen Vögel sind in großer Zahl in der Luft, unsere wie französische. Zwei stürzten brennend ab, dann tickte von oben das Maschinengewehr in unseren Graben, dann flogen Minen und Gewehrgranaten, dann Schrappnells und schwere Granaten, ein unheimliches Leben, und wir im 10 m tiefen Stollen freuten uns, daß wir einen sicheren Raum hatten. Auch Gas gabs, aber die Gasmaske ist gut. Doch wir brauchten sie gestern noch nicht. Nun sitz ich hier auf der Treppe und schreibe bei trübem Kerzenlicht, soeben haben wir unser Essen, heute gabs Sauerkohl, verdrückt. Unser Brot müssen wir in Dosen verschlossen halten, d[ie?] Mitesser sind zu viele. Ratten, in der Größe mittlerer Katzen. Aber sie sind genügsam, wenn sie den Tornister zerfressen haben, begnügen sie sich mit unserer K.A. Seife5. Und daß sie auch über unsere Butter und unsern Weihnachtskuchen herfallen, ist nicht nett von ihnen. Doch wir trösten uns, dem Franzmann gehts nichts besser. Heute Abend gehts auch wieder los, im Graben Dreck zu schüppen. Beneide bloß die Straßenkehrer nicht, uns gehts

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  1. Kriegsausschussseife.

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[Blatt 161] 

schlimmer. Plötzlich gibt's einen großen Feuerüberfall. Wir sehen die Mündungsfeuer der französischen Geschütze. Schnell in die Stollen, schon schlagen die Brocken ein. Ein Spiel mit dem Tode. So ist unser Dasein nicht leicht, doch der Humor, der bitter-höhnische ist uns geblieben. Es ist ja Krieg und wir können sogar noch lachen.

5. Februar 1918 (Nachtrag)

Nun einiges von den Erlebnissen der letzten Tage. Am 2. abends mußte ich, ausgerechnet ich, los, fürs Bataillon wichtige Befehle an die große Bagage in Mesnil6 bringen (Bagage sollte am andern Morgen irgendwo verladen werden). Vom Bataillons-Kommandeur bekam ich genaue Order. Um 19 Uhr schob ich los, wußte weder Weg noch Steg. Stockfinster und dabei am Tage ein Weg von 3,5 Stunden. Zunächst gings nach Epoye, ein völlig zerschossenes (Haus) Dorf, dann nach vielem Hin- und Herfragen nach St. Massmes [sic]7, von dort nach Hatregiville [sic]8, beide zerstört. Immer weiter. Warmeriville, ein großes Dorf. Hier l[ie?]ß ich mir den Weg nach Mesnil9 weisen, man sagt mir einen Richtweg über freies Feld, ich geh [ihn], komme in der Dunkelheit vom Wege ab, laufe und laufe und komme schließlich eine Stunde vor Warmeriville wieder auf die Straße, da, wo ich schon gewesen war. Nochmal durch das Dorf, dann den rechten Weg. Komme ich gegen 030 Uhr in Mesnil10 an. Nun erst in dem großen Dorf suchen, wo die Bagage liegt. Alles schläft. Nach einer Stunde finde ich die rechte Tür, es war 130 Uhr. Um 430 Uhr sollte die Bagage abrücken. Das war eine Tour. Lieber eine Wallfahrt nach Telgte, als so einen Blödsinn noch mal. Am anderen Morgen um 9 Uhr geh ich zurück zum Mühlheimer Lager, gegen 13 Uhr bin ich im Lager. Unterwegs hatte ich ein menschliches Rühren, Kohldampf, in einer Artillerie-Kantine kaufe ich ein Pfd. Sirup, so aufgefuttert. Fürchterlich. Abends, um
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  1. Le Mesnil.

  2. St. Masmes.

  3. Heutregiville.

  4. Le Mesnil.

  5. Le Mesnil.

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[Blatt 162] 

0 Uhr gings dann wieder los, mit vollem Gepäck, in Stellung. Gegen 430 Uhr kamen wir an und kannst glauben, da hab ich erst geschlafen. Nun liegen wir im Graben in zweiter Linie, aber das ist dasselbe, 100 m hinter der ersten. Augenblicklich beast [?] uns Franzmann gehörig mit Artillerie, aber wir sitzen in tiefen Stollen und lachen ins Fäustchen. Der Stollen ist unsere Behausung. Vom Graben (eigentlich Verbindung von Granatloch zu Granatloch) geht ein Eingang, eine Treppe, etwa 30 Stufen in die Tiefe. Unten ist Wasser, so 10 m unter der Erde. Alles weiße Kreide. Die Treppe ist 1 m breit, und da der Stollen unten unter Wasser steht, leben wir auf der Treppe, an der Seite der Treppe liegen immer Bretter, auf denen wir schlafen. Etwa so

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Also so leben wir nun. Kommen wir heraus, so ist ein Dreck, unheimlich. Am Tage darf man sich im Graben nicht sehen lassen, sofort gibts Saures. Überall Flieger. Nachts wird etwas geschanzt. Haben so viel freie Zeit, die meist verschlafen wird. Im Stollen ewiges Licht brennen. Ist noch nicht bald Schluß? Vorgestern von Tante Maria einen kleinen Kuchen. Fein!

9. Februar 1918 

Sitze an der Öffnung unseres Stollenausganges. Die Gasmaske um den Hals, jeden Augenblick bereit, sie aufsetzen zu können. Vom Graben scheint helles Licht in die Tiefe. Frühlingswetter allenthalben, doch uns blüht kein Frühling, uns wollen sie vergiften, doch wir sind bereit. Franzmann hat Gas eingebaut, wir haben es bemerkt und gleich wird unsere Artillerie ihm alles entzwei schießen. Darum bei uns höchste Gasbereitschaft, da das Gas bei der Windrichtung aus zerstörten Flaschen zu uns herüberkommt. Gestern Abend hatten wir schon Gasalarm, es war nur wenig, nicht gefährlich. Draußen heulen jetzt die schweren Geschosse heran, ein
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[Blatt 163] 

immer stärker werdendes Sausen, dann eine Sekunde Ruhe und ein mächtiger Krach, das Biest ist krepiert. Es ist zurzeit unsere Artillerie, ein wohliges Gefühl, wenn unser Schwarm über die Köpfe fortsaust, aufmerksam lauschen wir jedem Geschoß nach. Wir kennens alle genau, ob schwer, ob leicht, ob Granate, Schrapnell, Fl[a]chbahn, Haubitze, usw. nach dem Gehör. Wir können genau abschätzen, wo es einschlägt. Das ist eine Folge des langen Krieges. Gleich wird nun auch Franzmann anfangen und bei uns dasselbe lauschen. Erst in der Ferne dumpfer Abschuß, ängstliches Warten, dann kommt das Ding, platzt und die Brocken fliegen. Hier im tiefen Keller sind wir ziemlich sicher. Soeben Meldung von Waffenstillstand und Friedensschluß mit der Urkreim [sic?]11, wenigstens der Anfang, das andere Rußland wird schon kommen. Wir werden wohlmöglich [sic] auch bald wieder reisen, es wird viel gemunkelt. Italien soll ein schönes Land sein, doch Bestimmtes weiß man nicht. Sonst nicht viel Neues. Sitzen den ganzen Tag unter der Erde. Nur abends und früh morgens kommen wir (in der Dunkelheit) aus der Erde, wie Ratten aus den Löchern, um im Graben zu arbeiten. Viel ist nicht zu tun, denn es ist ja nun trockenes Wetter. Wir liegen in einem ehemaligen Wald. Davon ist aber nichts mehr da, nur Loch neben Loch in aufgewühlter weißer Kreide. Gleich um 3 Uhr geht das Trommelfeuer bzw. Zerstörungsfeuer auf die französischen Gräben los, bis jetzt war nur Einschießungsfeuer. – Heute Paketchen von Fräulein Hemesath. Was macht Omas Finger?

12. Februar 1918 

Freut mich, daß dein Finger wieder auf Ordnung hält. Gestern war ein bewegter Tag. Unsere wie Franzmanns Artillerie waren
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  1. Ukraine.

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[Blatt 164] 

mächtig tätig. Andauernd sausten die Schweren. Der Franzose liebt es, uns oft mit kurzen, aber kräftigen Feuerüberfällen zu überraschen. Etliche Batterien eröffnen das Feuer auf kleinstem Raum. Wer da zufällig im Graben ist, hat Glück, wenn er sich noch verdrücken kann. Gestern Abend von 20–0 Uhr eine 25 Mann starke Patrouille nach Franzmann rüber. Sollten nachsehen, ob er Gas eingebaut hatte, alle kamen gut zurück, ist ja auch die Hauptsache. Ich war auch mit, und bekam später auf Grund dieser Patrouille EK und wurde zum Unteroffizier befördert. Wetter ist recht gut. Die Verpflegung hat um Vieles nachgelassen. Mit Rußland ist Friede.

13. Februar 1918 

Bei schönstem Regenwetter herzliche Grüße. Sehen aus wie die Schweine. Mir gehts gut. Ab und zu gibt es eine Gelegenheit, sein Geld loszuwerden. Die Kantinen haben öfters zu verkaufen. Schweizer Bonbon und holländischen Käse. Alles ist hinterher. Geld spielt keine Rolle. Franzmann stürmt nach starkem Trommelfeuer diese Kuppe des 200 m entfernten Cornilette. Fürchterliches Feuer. Flieger in Massen. Einer stürzt brennend ab. Wir bekommen hauptsächlich Minen – Schusterböcke. Ich liege mit l[eichtem?] Maschinengewehr im Granatloch und schieße auf Flieger.

15. Februar 1918 

Gestern konnte ich nicht schreiben. Mir gehts gut. Hatten keine guten Tage, lernten mal wieder Trommelfeuer kennen, ist aber alles gutgegangen. Hoffentlich ist alles zu bald zu End.

16. Februar 1918 

Sitze am kleinen Tisch, weit über 10 m unter der Erde. Sind weiter vorne. Vor mir brennt meine Carbid-Laterne, die ich mir heute aus einer Handgranate machte. Im schmalen Stollengang sind die Betten, dahinter ein weiterer Gang unter Wasser. Zweiter Ausgang verschüttet. Die Ratten plump[s]en dauernd ins Wasser, überhaupt eine große Schweinebande, denn sie haben mir meinen schönen Käse vollständig aufgefressen. Doch ich bekam ja gestern Ersatz von Tante Nette, sie schickte mir zwei kleine Würste. Habe mich mächtig gefreut. Die letzten Tage waren
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[Blatt 165] 

recht kampfhaft, doch ist die Ruhe jetzt wieder hergestellt. Vorgestern Morgen um 9 Uhr setzte Franzmann plötzlich auf unseren Abschnitt, nachdem unsere Artillerie ihn andauernd geärgert hatte, mit starkem Trommelfeuer ein. Wir saßen im Stollen, als es losging. Die Hölle wurde immer schlimmer, die Gräben vollständig eingeebnet. 3,5 Stunden peitschte, saust[e], heulte das Eisen durch die Luft. Das war ein Heulen, Dröhnen und Lärmen in der Luft, ein immerwährendes Erdbeben im Stollen. Doch unser Stollen ist fest. Nur hatte ich Angst, das[s] unsere 70 Handgranaten oben im Stollenaufgang mit explodierten. So ein Trommelfeuer zeigt uns Nerven. Beide Eingänge wurden halb verschüttet. Die Handgranaten kamen polternd die Treppe herunter. Endlich um 030 Uhr hörte es plötzlich auf. Wir lagen während des Feuers auf den Betten und rauchten. Feldmarschmäßig. Jeden Augenblick bereit, uns auszugraben oder einem Angriff entgegenzutreten. Als das Feuer aufhört, atmen wir auf, erwarten den Angriff, einzelne französische Stoßtrupps wurden abgewiesen. Die Hauptangriffstruppe war in unserem schweren Sperrfeuer vor den Graben liegen geblieben. Als wir zuerst aus dem Loch herauskamen, steckte jeder, wie nach einem schweren Gewitter, vorsichtig und neugierig den Kopf heraus. Draußen war wieder Frühling. Der Graben war weg, nur Granatloch neben Granatloch.

17. Februar 1918 

Nachdem das feindliche Feuer eingestellt, fiel kein Schuß mehr. Eine unheimliche Stille allenthalben. Und überall lachen höhnisch uns [?] zerschossene Gruben, zersplitterte Baumstämme, zerfetzte Telephonleitungen entgegen, und oben blauer Himmel. Hinter etwa 50 m war ein früher angelegter Friedhof (Champagne-Schlacht) wieder umgewühlt, neben uns ein
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[Blatt 166] 

stark besetzter, früher verschütteter Stollen, wieder freigelegt. Scheußlich. Dann bekam ich Meldung, sollte mit meiner Gruppe zum Kompanieführer kommen, in dessen Unterstand, der etliche Meter rechts lag, da wir zum dritten Zug gehören und dieser dem Kompanieführer zur persönlichen Verfügung steht. Wir hin. Alles in Stich gelassen, nur schwer bewaffnet hin, durch das zerschossene Gelände. Kommen gut an. Es kommt Meldung, feindlicher Angriff ist von links erkannt, aber es bleibt noch alles still. Wir liegen alarmbereit. Rückwärts ist alles alarmiert und beim Anbruch der Dunkelheit kommen die Reserven. Franzmann sollte nur kommen. Von 19–22 Uhr wird vorne im ersten Graben gearbeitet. Dabei gibts von beiden Seiten starke Feuerüberfälle. Ich habe mehrere Male gewaltig Glück. In der Nacht bekommt er von unserer Artillerie unheimlich eingeschenkt. Morgens um 530 Uhr überrascht er noch mal mit kurzem Trommelfeuer. Wir glauben, hinterher kommt der Angriff, doch es bleibt ruhig. In der Nacht hatten wir alle auf lehmigen Boden umgeschnallt geschlafen, sahen aus wie die Schweine, es war kalt. Am Mittag zogen wir wieder in unseren Stollen und da hatten in der Zwischenzeit die Ratten so bös gehaust. Ich hatte mir einen schönen Käse für 2,80 RM gekauft, mit Haut und Haar ist er verschlungen. Ich habe mich mächtig geärgert.

18. Februar 1918 

Mir gehts immer gut. Augenblick nicht viel Betrieb, soll wohl die Erholung der letzten Tage sein. Etwas links von uns den ganzen Tag schon ein tolles Trommelfeuer. Wie lange soll dieser Mist nur dauern? Man wird sonst nichts gewahr, weiß nicht, obs Sonntag oder Montag ist, nur am Briefschreiben behält man das Monatsdatum.

19. Februar 1918 

Noch vier Tage, dann kommen wir in Ruhe. Soeben hab ich mich nach etlichen Tagen mal wieder gründlich gewaschen.
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[Blatt 167] 

und entlaust. Es ist ein Schweineleben, sonst jetzt ziemlich ruhig. Vor einigen Tagen hatten wir die Sache selber in Schuld. Es war von uns eine Patrouille zum Franzmann und kam zurück mit der Nachricht, daß Franzmann Gasflaschen eingebaut hätte. Daraufhin zerstörte unsere Artillerie die vorderen französischen Gräben. Von Gas keine Spur. Am Abend und nächsten Abend gingen von der Kompanie (ich auch) Patrouillen los, nochmals nachzusehen. Wir fanden aber nichts, und nun hat Franzmann als Vergeltung zwei Tage später die Gräben zertrommelt. Wir erwarteten noch einen Angriff, er blieb aus. Gestern Abend haben wir nun unseren Drahtverhau geflickt. Es sah bös aus. Große Lücken hatten die schweren Granaten geschlagen. Unsere Gräben sind nun auch wieder intakt. Nun gehts wieder. Es gehen Parolen, wir sollen fort. Es ist auch etwas im Werden, man merkt und hört allerlei. Nachts sind andauernd Flieger hoch. Kalt ists in den Nächten und wir frieren oft wie die Schneider. Doch nur noch vier Tage, dann wirds wieder besser.

21. Februar 1918

Bin heute zurückgekommen zum Mühlheimer Lager, zwecks Teilnahme an einem leichten Maschinengewehr-Kursus. Dauert etwa drei Wochen, so daß ich also erst aus dem ärgsten Dreck heraus bin.

22. Februar 1918

Vom Mühlheimer Lager herzlichen Gruß. Machen jetzt morgens und nachmittags Dienst am l[eichten] Maschinengewehr. So ein Kursus ist Abwechselung. Mit Rußland gehts wohl wieder los. Ist nicht schlimm. Der macht schnell Schluß und wir bekommen viel Beute. Werde in nächster Zeit EK bekommen, bin vor etlichen Tagen eingereicht. Urlaub ist seit zwei Monaten gesperrt. Schürrer fuhr zwar, Vater gestorben.

27. Februar 1918

Gestern waren wir entlaufen nach Warmeriville, in letzter Nacht großartig geschlafen, bin noch bei Maschinengewehr-Kursus, die anderen Kameraden haben die ganze Nacht gearbeitet, mußten
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[Blatt 168] 

Minen schleppen, denn in der Nacht von morgen auf [den] 1. sollen vor unserer Stellung die Höhen gestürmt werden. Unsere Kompanie liegt in Nähe auch hier. Die Aufgabe von übernächster Nacht ist wohl schon ein Anfang der bevorstehenden Offensiven. Wir machen noch nicht mit. Die eigentlichen Kampftruppen bekommen gute Verpflegung, sicher doppelt wie wir. Heute bekomme ich einen neuen Rock, der andere ist auch nicht mehr gut. Bin nun auch zum Unteroffizier [?] eingereicht. Die Röcke, die ich verpaßte, waren alle zu groß. Schneider ändert die Sache. Meine Feldmütze bekam ich auch. Zurzeit mal wieder Dreckwetter, gestern wunderschön. Die Luft wimmelte von Fliegern. Drei Franzosen wurden abgeschossen. Der ganze Himmel hing voller Fesselballons. Man konnte über 20 zählen.

[Fortsetzung Blatt 168 folgendes Kapitel]
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