September – Oktober 1918
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[Fortsetzung Blatt 24]
3. September 1918
H[erzlicher?] Gruß aus der Ferne. Augenblicklich herrscht hier dunkler Kram. Nicht viel Arbeit, da unsere Station keine Aufnahme hat. Alles unbestimmt. Die Zeit läuft. Gestern vor einem Jahr bekam ich den Querschläger gegen den Kopf. Hatte Glück, daß ich den Stahlhelm trug, sonst hätte man mich nicht wiedererkannt.
5. September 1918
Dasselbe. Hat man bei Euch noch Hoffnung auf baldigen Frieden? Hier ist die Stimmung echt geteilt.
7. September 1918
Dasselbe. ‒
11. September 1918
Hier wirds
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[Blatt 25]
herbstlich. Die Nächte kalt und viel Regen. Geht mir gut. Neues nicht, es sei denn verboten. Heute bekamen wir neues Schwesternpersonal in der Kirche. Vinzentinerinnen, haben eine schreckliche Tracht, hätten gerne die anderen behalten. Habens zurzeit gut. Nicht viel Arbeit. Einliegend Abbild. Einer unserer früheren Krankensäle, der früher zu unserer Station gehörte. Es liegen hier lauter Brustschüsse, kommen alle durch und sind nun schon in Deutschland. Lauter liebe Bekannte.
13. September 1918
Haben eine gute Zeit. Unser rechter Arzt ist ja auf (Vertretung) Urlaub, haben Vertretung und dieser hat die schweren Fälle mit auf seine Station genommen. Auch wird viel nach Deutschland abgeschoben. Wir leben in einer Zeit der Erwartungen, wir erwarten den Franzmann näher heran und sind bereit, ihn zu empfangen.
16. September 1918
Letzte Nacht haben die feindlichen Flieger mal wieder bös gehaust. Wie durch ein Wunder ist keiner und nur wenig Sachschaden angerichtet. Ungefähr 20 m von meinem Bett setzte er eine schwere Bombe hin, aber zwischen Bett und Einschlagstelle steht eine dicke Kirchenmauer. Also, ni[chts] passiert. Eine setzt er neben eine Latrine, 3 m davon auf der Latrine sitzt ein Verwundeter, wird nicht getroffen. Drei Brandbomben schlagen 2 m von einem Magazin [ein]. Eine andere fällt zwischen drei große Zelte, in denen Kranke liegen, nichts als ein großes Loch. Eine geht durch ein Haus, von oben bis unten, das ist alles. Etliche andere schlagen hunderte Fensterscheiben entzwei, das war der ganze Schaden in Rethel. Natürlich wird die ganze Gegend, die umliegenden Dörfer, alles abgesucht. Was dort passiert ist, weiß ich nicht.
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[Blatt 26]
17. September 1918
Heute vor drei Jahren das erste Mal verwundet. Wer dachte damals, daß der Krieg noch so lange dauern würde? Ob das österreichische Friedensangebot durchschlägt? Abwarten und hoffen. Hab im Augenblick recht wenig zu tun, denn wir haben nun in der Kirche nur Seuchenkranke. Sämtliche Verwundete wurden abgeschoben und zwei Stunden später hatten wir die Kirche überbelegt mit Ruhr und Typhus. Länger als zwei Tage bleibt keiner. Ein ewiges Kommen und Gehen und immer ist die Bude pickevoll. Kannst denken; was wir nun alle verseucht sind. Die Leute sind nicht entlaust und nichts, bei uns ist ja nur Durchgangsstation. Also Läuse und Flöhe gibts massenhaft. Doch ich rette mich nachts noch davor. Denn mein Bett steht ziemlich isoliert. Reine Wäsche gibts oft und jedes Mal, wenn ich schlafen geh, streu ich in und unter das Bett eine Handvoll Naphtalinpulver. Habe mehrere Pfund aus der Apotheke holen lassen. Es ist das einzige Gute, das richtig hilft. Läuse halten sich nicht, aber ein hartnäckiger Floh hält mich scheinbar im Bann, und das schon seit mehreren Tagen, kann ihn nicht fangen. Sonst gehts gut.
21. September 1918
Brief von Mutter, 15. September, daß Fräulein Doris Hemesath gestorben. Bin recht niedergeschlagen.
23. September 1918
Habe augenblicklich wieder mehr Arbeit, denn es kommen viele Kranke an, Ruhr und Typhus. Meine Kompanie soll an alter Stelle fortgekommen sein. – Was machen die Friedensaussichten? – –
28. September 1918
Immer gut. Die Kompanie hatte insofern Glück als an dieser Stelle, wo sie fortgekommen, nunmehr die
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[Blatt 27]
Großangriffe beginnen. Erwartet wurden sie schon immer. In der letzten Nacht holte Franzmann leider noch acht Mann, hoffentlich sind sie gut dort drüben gelandet. Hier sonst viel Betrieb, aber alles Kranke. Ruhr und Typhus. Ist ja auch kein Wunder bei dem naßkalten Wetter. Natürlich hatten wir in den letzten Tagen immer feindlichen Fliegerbesuch. – –
25. September 1918
Nachtrag. Viele Zugänge an Kranken, hoffentlich kann ich auch bald in Urlaub fahren. Will sehen, daß ich von hier Urlaub bekomme, wenn ich entlassen werde. Habe ja noch Zeit, doch wer weiß, was noch kommt. Sonst dasselbe Leben. Feindliche Flieger waren in den letzten drei Tagen nicht da. Das letzte Mal war mal wieder recht bös, aber die haben auch die Hose vollbekommen, mehrere wurden abgeschossen.
1. Oktober 1918
Dasselbe. Zum Schreiben hab ich keinen Spaß mehr.
4. Oktober 1918
Herzlichen Gruß von hier. Wohlmöglich [sic] der Letzte, werde hoffentlich bald kommen, kann auch erst mit Lazarett-Zug nach Deutschland fahren. Von hier kommt alles fort. Gestern Abend mal wieder heil davongekommen. Waren zu einer Besprechung in einer Baracke neben der Kirche versammelt. Fliegeralarm. Die Fenster sind abgedichtet, elektrisches Licht ist aus. Wir brennen Kerzen. Flieger über uns. Wir machen uns nichts draus. Da gehts los. Kettenbomben, 1 – 2 – 3 – 4. Der Atem stockt; ganz schwere. Doch die Gefahr ist vorbei, alles ist vom Luftdruck umgeblasen. Ich springe auf den Tisch und brülle Ruhe. Kaum bin ich aus der Baracke, da stürzt ein ganzer Flügel
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[Blatt 28]
der großen Schule, direkt hinter der Kirche (dreistöckig) in sich zusammen. Überall Stöhnen und Schreien. Über 80 hats getroffen. Auch meinen Arzt, der gerade vom Urlaub kam. Und viele Schwestern. Die französischen Flieger haben nur zu gut getroffen. Im Innenhof stehen zwei große Baracken auf dem Kopf. Viele Tote, die Lumpen, nicht mal ein Lazarett zu schonen. In dem Flügel, der einstürzte, lagen oben lauter Schwerverwundete, Gipsverbände. Da geht das Ding durchs Dach, schlägt bis zu dem Keller durch, explodiert. Die Kranken humpeln heraus, werden mitgerissen, und dann kracht der Flügel in sich zusammen. Im Keller haben wir nun alles, was zu erreichen war, zusammen. Verbinden und Stöhnen und Verbinden. Das Leben hier wird ungemütlich. Ein Glück, daß das Lazarett schon ziemlich geräumt war. Bald alles leer. Und doch hats den zweiten Mann, von allem, was da war, getroffen. Nächste Nacht kommen sie sicher wieder. Hab nur keine Angst. Wir besehen uns jetzt die Fliegerkeller von innen. – Am Nachmittag des folgenden Tages kam allgemeiner Räumungsbefehl. Sachen packen. Meine säuberlich zusammengestellte Hausapotheke geht mit. Abends liegen wir abfahrtbereit auf der Bahn, doch der Zug fährt nicht. Wieder Flieger. Alles Fluchen hilft nichts. Die Nerven sind total kaputt. Endlich geht's am Morgen los. Rings fallen Bomben. In der Eifelgegend bleiben wir einen Tag liegen. Der Bahnhofskommandant von Köln, der einige (alles Leichtverwundete) vom Deck treiben will, wird
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[Blatt 29]
ausgelacht. Die Zeiten haben sich geändert. Camenz und Schlesien.
11. Oktober 1918
Soeben nach achtstündiger Fahrt in einem schönen Lazarettzug, hier in einem Lazarett mehr Erholungszug oder Erholungsheim gelandet. Morgen mehr. Müde. Adr[esse] Rus[sisches?] Lazarett in Camenz und Schlesien. Abteilung Sankt Josephsstift. Camenz liegt 70–80 km südwestlich von Breslau.
12. Oktober 1918
Kommst aus dem Staunen wohl gar nicht heraus, mich in Deutschland zu wissen. Rethel wurde geräumt und da hat man alles nach Deutschland geschickt. Habe Glück. Meine Division ist total aufgerieben, teilweise gefangen oder tot oder verwundet. Am letzten Abend hauten Flieger unser dortiges Lazarett entzwei. Hier ist es sehr schön. Gebirge ringsherum, alles katholisch. Essen noch besser als in Rethel, wenn du doch auch mal so eine Kur mitmachen könntest. Das Leben in Camenz war schön. Ein Feldwächter und ich sangen mit den Schwestern in der Morgenmesse, wir bildeten ein Quartett und sangen am ersten Sonntag schon öffentlich in einem Unterhaltungsabend. Bekamen beim Bäcker Brötchen und gingen zu den Bauern und holten Butter. Waren mit vier Mann zusammen (drei Militär-Feldwächter und ich) es war e[in] lustig Leben. Schwester Chlothilde pflegte uns.
15. Oktober 1918
Bin gut aufgehoben, tadelloses Lazarett, habe schon eine gute Kammer. Essen sehr gut, ebenso gut als 1915 im Osnabrücker Lazarett. Wenn wir von hier entlassen werden, fahre ich erst Urlaub [sic]. Hatte vor, von Rethel zu fahren. Hatte schon von der Kompanie die Erlaubnispapiere schicken lassen. Die Urlaubs-
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[Blatt 30]
scheine waren schon unterwegs; da kam d[ann?] plötzlich Räumung der Stadt und ich sauste mit ab nach Deutschland.
18. Oktober 1918
Bin nun schon drei Wochen ohne Nachricht von dir, wird schon kommen. Wie stehts dort mit der Grippe? Nimm dich in Acht und esse gut, die Unterernährung spielt eine große Rolle. Hoffentlich bald Frieden. Er kommt schon, wenn auch einige Zeitungen noch so schreien. Es wird auch Zeit. Bin hier gut aufgehoben. Du staunst wohl. Brauchst meinetwegen dir keine Sorge machen, ist hier ein regelrechtes Genesungsheim und Erholung hat jeder nötig. Alle acht Tage ist Untersuchung. Nachmittags haben wir Ausgang. Die Gegend ist sehr schön. Der reinste Kurort. Wenn ich von hier entlassen werde, fahre ich sofort auf Urlaub. Jedenfalls bin ich durch den Frontschwindel gut durchgekommen. Von meinem Regiment soll nicht mehr viel da sein. Die Kameraden haben schwere Tage gehabt.
20. Oktober 1918
Sonntag. Hier in der ganzen Provinz ist diesen Tag Aussetzung zur Erlangung eines guten Friedensabschlusses. Bei regnerischem Wetter müssen wir bald dauernd im Hause sitzen.
21. Oktober 1918
Gestern Mittag erhielt ich deinen ersten Brief vom 16. – – – – Habe mich recht erschrocken wegen Lulu Kirsch, mehr als bei allen anderen. Es ist traurig. Doch Krieg ist Krieg, hoffentlich hört er bald auf. Ich kanns hier wohl aushalten und wünschte dir auch mal so eine Erholungszeit. Die Grippe ist hier im Dorfe noch nicht so schlimm, in Breslau und überall stark. Ebenso ja auch bei Euch. Wie steht es mit Dir? Du schreibst man nur nicht. Als einziges Mittel ist gut essen und eine Tablette
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[Blatt 31]
Aspirin oder Pyramidon. Kann das, bin der reinste Apotheker geworden. Habe auch eine Hausapotheke bei mir, von allem etwas.
23. Oktober 1918
– – – Hoffentlich kommt bald der Friede. Hier in Deutschland ist ja bald alles am Verzagen. So schlimm ist's doch noch nicht, und wenn die anderen keinen Frieden wollen, bekommen sie noch ordentlich Prügel. Gestern war hier überall Bittgottesdienst. Waren gestern beim Prinzen eingeladen. Hohenzoller. Prinz Heinrich von Preußen, aber nicht der Bruder, sondern ein Vetter vom Kaiser. Sehr liebenswürdiger Herr. Bekamen dort Wein und Zigaretten, überhaupt haben die sehr viel für uns über. Zum Schluß zeigte er uns noch das Schloß, die Innenräume, die wunderbare Wasserkunst. Auf der Karte sieht man schon, wie wunderschön es hier ist. Die Zeit läuft hin. Hier in Schlesien wütet die Grippe stark.
26. Oktober 1918
Besten Dank für deinen Brief. Ist bald einen Monat unterwegs gewesen. Werde wohl noch immer 14 Tage bis drei Wochen hier bleiben. Ist auch gut so, denn jetzt so am Schluß noch eins verpaßt [zu] bekommen, danke.
25. Oktober 1918
Heute Brief vom 20. Oktober erhalten. Sonst dasselbe. – So lief die Zeit in Camenz schnell herum. Die letzten Briefe fehlen. Wir hatten noch immer gute Hoffnung auf guten Frieden. Dann kam die Revolution in Österreich. Dann bei uns. Den ersten, der mir die Rangabzeichen abreißen wollte, schlug ich k. o. Dann wurde man vom Strudel mitgerissen. Mit mehreren fuhren wir ohne Urlaub ohne Karte zur nahen Stadtfestung Glatz. Die freigelassenen Gefangenen spielten
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[Blatt 32]
hier die Hauptrolle. Soldatenrat mußten wir wählen. Die Schwestern wollten mich noch gerne behalten, doch ich wollte nach Muttern, umso mehr als das Fahren gefährdet wurde durch den Aufstand in Polen. In Camenz hatten wir vorher doch noch schöne Stunden verlebt, als wir der Prinzessin mit unserem Quartett vorsangen, die Damen den Hofknicks machten und ich laut aufplatzte, als wir von der Prinzessin photographiert wurden, der alten Oberin zum 80. Geburtstag ein Ständchen brachten und in die Klausur eindrangen, beim Tabakkaufen usw. Jetzt gings nach Muttern, Ende November, nach 14 Monaten. Die Züge waren überfüllt, dann ging der Weg durch die Fenster. Wir wollten und kamen mit und dann kam ein fröhliches Wiedersehen bei Muttern in der Heimat.
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