Juli 1914 – August 1915
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[Überschrift nach originalem Inhaltsverzeichnis: Meine Kriegszeit 1914/1915]
[Blatt 182]
Juli 1914
Ferien. Mobilmachung feiern wir im althistorischen Zimmer auf der Vitischanze in Osnabrück. Nachts spät noch auf dem Neumarkt, Felix Ekowsky (gefallen) zerschlägt im Übermut zwei Flaschen auf den Rädern einer Droschke entzwei. Schon hat die Polizei ihn beim Wickel. Bekomme von Mutter die Erlaubnis, mich freiwillig zu melden, doch schon alles voll. Da fahre ich mit meinem Freiwilligenschein, der auf dem Rathaus ausgestellt wurde, in 24-stündiger Fahrt nach Hamburg. Unterwegs glänzende Verpflegung. Waschkörbe voll Eier usw. Alles Freiwillige und Reservisten, die sich stellen müssen. In Hamburg auch nicht mehr angenommen, überfüllt. Am andern Tage liegt schon für mich ein Stellungsbefehl zur Musterung vor. Nicht angenommen. Man hatte eben über. Zuviel. Dann einige Monate später werde ich zur Infanterie festgeschrieben. Meine Einberufung zieht sich hin. Ende April kommt der Befehl. Große Freude. Lennchen Gabriel und Mieze Göbel bringen mich nach Altona. Großer Jubel, Abschiednehmen. Rechts und links die beiden im Arm gehts mit dem Transport unter Musik zur Bahn, zur Fahrt nach Schleswig.
1. Mai 1915
Fahrt nach [Rendsburg in Schleswig]. 19 Uhr abends Brücke passiert. 2,5 km lang, 65 m hoch. Fahrt gemütlich. Begleitungsmannschaft nett.
1. Mai 1915 [sic]1
Abfahrt Musketier B[ernhard] B[eckmann]. 17. Korporalschaft, Rekrutendepot I. E. J. R.2 84. Schleswig. Schlohs.3 – Eben angekommen. Liegen im Schloß. 20 Mann auf einer Bude. Morgen Einkleidung. Von
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[Blatt 183]
Hamburg kamen 11700 fort.
3. Mai 1915 [sic]4
Schlechtes Wetter. Sitzen auf der Bude und warten mit Einkleidung. Eben Stubenreinigung. Guten Unteroffizier. Liegen in einem großen Saal. 18–20 m lang und 8–10 [m] breit. – Einige Stunden später. Stecken in Uniform und was für welche, so dreckig. Heute Mittag gabs Kartoffeln und Ragu [sic] oder wie das Zeug heißt. Hatte 0,5 [unleserliche Mengenangabe] Butter gekauft, auf dem Tisch stehen lassen, schon fort. Lehre! Nachmittags Sachen geflickt. Stiefel geschnürt, Knöpfe geputzt. Abends bekam jeder ein End Leberwurst und ein Stück Brot. An Sachen usw. bekommen wir 7,20 Mk ersetzt.
2. Mai 1915
Erste Nacht vorbei. Schlafen in der ersten Etage. Bett hart, Decke. Nachts tüchtig geregnet. Umgebung wunderschön. Morgens erst Betten gemacht, Kaffee geholt, gewaschen, Morgenfrühstück. Sind auf der Bude alles Hamburger Jungs. Bin der einzige Einjährige [?] in der Korporalschaft.
3. Mai 1915
Essen von gestern (Kaninchen) starke Folgen. Jeder x-mal heraus. Rattenkonzert. In den Stuben elektrisches Licht. 5 Uhr brüllt der dienstleitende [?] Unteroffizier: „Aufstehen!" Nach zehn Minuten kommt er wieder. „Alles gesund?" Zwei waren bei uns schon krank. Zwei Mann Stubendienst. Fegen Stube, Flur. Dienst bis 11 Uhr. Mittags Graupen. Nachmittags Turnen, 18 Uhr Appell, Löhnungsappell. 3,30 Mk für zehn Tage. Brauchte nicht mitmachen, da ich mit zum Dienst als Flaggenwinker kam. 15 Mann vom Regiment. Schicke meine Zivilsachen zurück.
5. Mai 1915
Soeben vom Marsch zurück. War warm. Von morgens 8–14 Uhr. Gewehr bekommen. Jetzt dauernd Griffe kloppen, Gangrichtungen, Zielen, Putzen usw. Habe bei den Vorgesetzten gute Nummer.
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Vermutlich meint Beckmann den 1. Mai 1915. ↩
[Blatt 184]
Brot haben wir genug. Essen geht. Butter kaufe ich.
6. Mai 1915
Hatten Besichtigung vom kommand[ierenden?] General. Dienst ist nicht zu stramm. Als ich von Hamburg fortging, brachte mich die ganze Bande, 70 Schüler, zur Elektrischen. Heute gabs Bohnen, so steif, daß man den Löffel stecken konnte. Kaufe mir Extramütze. Heute geimpft und untersucht.
7. Mai 1915
Von 7 bis 12 Uhr Marsch. Waren bei Idstädt[sic].5 Heute wieder Kaninchenragout, abends Erbsknackwurst. Schicke bald Wurst usw. Man hat von dem strammen Dienst immer Hunger.
9. Mai 1915
Sonntag. Gestern Nachmittag zur Kirche geführt. Heute heilige Kommunion. Eben Stubenrevision. Alles blitzblank. Gleich Stiefelappell. Von den Schwestern in H[amburg?] bekam ich Skapulier und Medaille, sitzt alles im Brustbeutel. Dienstag Löhnung. 7,10 Mk Putzgeld, 1 Mk Verpflegungsgeld, und jeden Tag 5 Pf Brotgeld. Morgen machen wir großen Marsch. Habe gute Stiefel. Bin guter Dinge. Stubendienst brauche ich nicht mitzumachen. Dafür verschiedene Schreibposten. In der Korporalschaft stehe ich Flügelmann, habe als einziger Gewehr 98. Die anderen Modell 70. An meinem Gewehr werden alle ausgebildet. Die Einjährigen sollen Extraausbildung haben. Gestern Kirche. In meiner Korporalschaft sind wir drei Katholiken. Der eine ist sieben, der andere acht Jahre nicht mehr zur Kirche gewesen. Heute im Gasthof gegessen, hier Kaninchenragout. Jeden Tag kommen neue Leute. Der Verkehr unter den Leuten ist recht kameradschaftlich.
10. Mai 1915
Von Mutter Paket erhalten. Morgen "Vereidigung“. – Strammen Dienst. Sind schon so braune geworden. Überguten Appetit. Bekomme leider zu Pfingsten keinen Urlaub. Habe gutes Zeug.
11. Mai 1915
9 Uhr zur Kirche. Vereidigt. Von 15 Uhr im Dienst.
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Idstedt.↩
[Blatt 185]
Bekomme Schießbrille.
13. Mai 1915
Viel Dienst. –
15. Mai 1915
Habe soeben zwei Portionen Essen geholt (und was für welche). Boullionsuppe [sic] mit Reis. Gestern zum dritten Mal geimpft.
16. Mai 1915
Habe schon Beförderungsgedanken. Kaufe Instruktionsbücher. Nehmen an der Instruktionsstunde der Unteroffiziere teil (geimpft wurden wir einmal gegen Pocken, gegen Typhus und Cholera auf der Brust). Wollte gerne zeichnen, aber man [hat] keine Zeit.
19. Mai 1915
"Immer lustig" ist unsere Parole. Paket von Mutter erhalten. Heute gab es Fußlappen (Weißkohl mit Kartoffeln und Ochsenfleisch, schmeckt). Gleich ist ärztliche Untersuchung. Danach baden, dann Flick- und Putzstunde. Appell mit Unterkleidung und Fußzeug.
24. Mai 1915
Soeben dein l[iebes?] Pfingstpaket erhalten (auch sonst allerlei). Schönes Wetter. Viel Dienst.
26. Mai 1915
Vor einer Stunde vom langen Marsch zurück. So naß bin ich wohl noch nie gewesen. Hatten längeres Gefecht. Gestern zwei Ausmärsche. Da wird man müde. Am Montageband veranstalteten wir eine große Rattenjagd. Ein Kamerad und ich auf dem Tisch, die anderen in den Betten. Die Löcher bis auf zwei verschlossen. Diese durch den umgedrehten Bock mit Strick auch zum Zufallen gestellt. Als genug Ratten in der Bude waren, ließen wir den Bock auf die Löcher fallen, Licht aus. Alle Mann mit Jagd. 20 Mann im Hemd, jeder Peitsche, Besen usw. Sieben Biester schlugen wir tot. 10 Pf bekamen wir pro Stück. Also braune Seife dafür gekauft. Vorgestern Bootsfahrt nach der Schleie [sic]6 mit zwei Kameraden. Gebadet. Möveninsel. 1000 da von Tieren. Insel ist verpachtet. Eier. In unsere Bude kommt täglich der Milchmann. Kaufe täglich 0,5 Liter.
28. Mai 1915
Mutter schickt, Wäsche gebe ich fort. Hoffe auf Urlaub.
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Schlei.↩
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1. Juni 1915
Urlaub ist nichts, nur wenn wichtiger Grund. Bin jetzt in der 13. Korporalschaft. Gut zufrieden. Schade, daß unser Feldwebel mit ins Feld kommt. Habe heute gut geschossen. Lob bekommen. 11, 12, 11 und Treffer auf Kopfscheibe. Heute bekam ich Schießbrille. Um 22 Uhr gehts zu Bett, um 4 Uhr heraus. Heute sind viele Rekruten gekommen.
5. Juni 1915
Das Leben hier ist doch wundervoll. In einer halben Stunde gehts los nach Lockstedt. Bleiben vier Tage.
6. Juni 1915
Lockstedter Lager. Größere Gefechte. Gestern "Scharfschießen", auch morgen. Liegen in neuen Holzbaracken. Machen bald Nachtmärsche.
9. Juni 1915
Zurück in Schleswig. Heute wieder großer Ausmarsch. In Hamburg ist für mich ein Schulbruder. Gleich baden, dann flicken. Hose ist geplatzt. Bin soeben zum Schießstand abkommandiert, muß dort anschalten.
10. Juni 1915
Immer Märsche. Geht sehr gut. Schießen. Zwei Treffer Bedingung, hatte vier. Morgen früh von 545 Uhr einen Gefechtsmarsch bis Mittag, 15–16 Uhr Turnen, Fechten, Zielen. Abends Nachtmarsch von 1–130 Uhr, dann noch Gewehrputzen und Schlafen. Macht aber Spaß.
12. Juni 1915
Gestern Nachtmarsch, heute Morgen 530 Uhr heraus. Urlaubsgedanken, geht nicht. Habe gute Nummer. In der Korporalschaft. Am besten geschossen.
13. Juni 1915
Die Einjährigen sollen schneller ausgebildet werden. Wäre schon recht.
14. Juni 1915
Morgen großer Marsch. Habe gute Stiefel, keine Blasen usw.
15. Juni 1915
Heute Marsch von 35 km.
16. Juni 1915
Nun kann ich nicht Urlaub kommen, morgen beginnt Einjährigen-Kursus. Ich muß meine Papiere in Ordnung haben. Nach vielem Hin- und Herschreiben bekomme ich den Schein. Onkel Theo Melle stellt Bürgschaft, der Schein wandert mit allen Papieren später ins Feld. Unser Dienst ist glänzend.
20. Juni 1915
Immer fidel.
30. Juni 1915
Sorge um den Schein. Die anderen haben überschweren Dienst. Gestern ins Ersatzbataillon. Wohne in Bürgerquartier mit zwei Kameraden. Woche à 2,50 Mk.
3. Juli 1915
Fahren zwei Tage nach Lockstedt. Major vorgestellt. Hoffe noch auf Urlaub.
7. Juli 1915
Sage Mutter mein Kommen an auf den achten. Bin von Donnerstag bis Sonntag bei Muttern.
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[Blatt 187]
Ins Feld.
15. Juli 1915
Einjährigen-Transport. Auf meinen Wunsch komm ich mit. Sind etwa 15 Mann, bekränzt und wohlverpackt geht [es] zur Bahn. Mutter hat Nachricht, daß ich durchkomme. Die Fahrt geht zum Westen, zum Infanterie Regiment 84. Abends spät in Osnabrück. Mutter am Bahnhof. Fröhliches Wiedersehen. Leider nur zehn Minuten. In Münster im Wartesaal geschlafen. Am Morgen weiter. [In] Köln längerer Aufenthalt. Dom, Domschatz usw. Dann geht's nach Frankreich hinein. Nachstehende Aufzeichnungen sind von meiner Feldpost an Mutter. Frankreich.
17. Juli 1915
Immer noch nicht am Ziel. Liegen in Bezancourt und warten auf den Abgang des Zuges. Von Köln kamen wir über Trier. Schliefen drei Stunden im Wagen. Weiter durch Luxemburg, Sedan. Spät abends in Charleville. Im Wagen geschlafen. Sieben Mann im Abteil. Weiter, liegen nun schon fünf Stunden in Bezancourt und warten auf den nächsten Zug. Immer guter Dinge dabei. Macht bis jetzt Spaß. Bewahre bitte die Karten für später auf (das hat Mütterchen glänzend besorgt).
19. Juli 1915
Montag. Bin gut zufrieden.
19. Juli 1915 [sic]7
D´Ecordal. Kamen gestern Abend spät hier an, unser Regiment ist in Ruhe gekommen. Gegend sehr schön, stellenweise Dörfer echt französisch. Sind soeben dem Regiment zugeteilt. Adresse Musk[etier?] Bernhard Beckmann, Infanterie Regiment 84, 3. Bataillon, 11. Kompanie, 54. Division, 108. Infanterie Brigade.
19. Juli 1915 [sic]8
Bin gut zufrieden. Haben guten Dienst. Ob wir hierbleiben, noch unbestimmt. Vorläufig hat das Regiment Ruhe. Die erste Laus wollte ihren Einzug halten, flog schnell hinaus. Übrigens ist das hier ein
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ein schönes Leben, so recht für mich.
21. Juli 1915
Frankreich. Von der Reise (?) die herzl[ichsten?] Grüße. Wenn du in den nächsten Tagen keine Post bekommst, dürfen wir nicht schreiben. Bin immer gut zufrieden (in Frankreich nächtliche Skizzen gemacht).
23. Juli 1915
In der Bahn. Sind seit gestern unterwegs, vielleicht nach Rußland. Am 26. dürfen wir erst schreiben (Dieser Brief geschmuggelt). Gut zufrieden. Wundervolle Fahrt. Gleich weiter. Sind tagsüber oben auf den Wagen. Schon viel erlebt. – N[ota] B[ene]: Es geht zum Osten.
26. Juli 1915
Rußland. Gut zufrieden. Wir waren in Frankreich in Reserve gekommen, dann kam unbestimmter Befehl zur Abreise. Wohin? Endlich gings los. Über Sedan, Metz, Bingen, Mainz, Frankfurt am Main, Erfurt, Weimer [sic], Leipzig, Posen, Hohensalza, Thorn, Neidenburg, Masurischen Seen bis Puppen, einer kleinen Bahnstation in Ostpreußen. Dort stiegen wir aus. Vier Tage und drei Nächte. Das war eine Tour, oha! Aber schön wars doch. Dann ging das Laufen los. Über die russische Grenze, weiter auf Ostrolenka, das wir nehmen sollen. Heute Mittag gehts los. Wir liegen jetzt 7–9 km vor Ostrolenka. Liege im Zelte und schreibe. Wie die Heringe zusammengepreßt. Hier, wo wir liegen, waren vor acht Tagen die Russen noch. Sind in den letzten Tagen über 40 km zurückgegangen. Überall Russenmassengräber (in einem kleinen Waldstück liegen über 2000 Russen). Verteidigungsstellungen und zerschossene Häuser. Die Bevölkerung ist z. T. noch hier. Eigenartige Tracht. Bunte Farben die Frauen. Nur rot, gelb und blau. Bloße Füße, geflochtene Haare, Zöpfe unten mit einem gelben Zigarrenband zusammengebunden. Das Ganze, ein Bild zum Weglaufen. Wenn wir bei einem Dorfe bewackieren [sic], war nichts zu sehen, nur hier und
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[Blatt 189]
dort zeigte sich ein Kopf. Kaum waren wir am Abmarschieren, dann stürzte alles heraus und suchte die Felder ab. Alles wurde mitgenommen. Die Kinder gehen genau wie die Alten, das sind die Russen. In Ostpreußen ist alles niedergebrannt, vieles ist schon wieder aufgebaut. In Allenstein z. B. ist aber fast nichts beschädigt. Einzelne Häuser auf dem Lande sind restlos niedergebrannt. Sobald wir aber über die russische Grenze kamen, hörte die Zerstörung z. T. auf. In der ersten Nacht schliefen wir unter freiem Himmel. In der zweiten Nacht regnete es, und wie. Lagen unter unseren Zelten, die wir schnell aufschlugen. Vier Mann unter einer Zeltbahn, d. h. jeder lag so, daß er sich nicht rühren konnte, sich nicht umdrehen konnte, und auch nicht herauskonnte. So ging es die ganze Nacht durch.
Und das tröpfelte durch, am andern Morgen war alles klitschnaß, trocken wird man nicht. Tagsüber immer schwitzen, zehnmal mehr als in Schleswig. Nachts Regen, Nebel usw. Läuse gibts auch schon. Absuchen.
Rußland ist ein eigentümliches Land. Sand, 20–30 cm tief sackt man ein, dort wieder Lehm, daß die Stiefel stecken bleiben. Wiesen, so naß, daß man bis an die Knie einsackt. Das Marschieren ist schwer. Heute Mittag gehts los, unsere Artillerie donnert schon unheimlich, die Festung wird bald sturmreif sein.
30. Juli 1915
Endlich komme ich dazu, eine Karte zu schreiben. Soeben ist Post ausgeteilt. Auch Karte von Mutter. Ich komme wenig zum Schreiben. Bisher immer Märsche. Umgehungsmärsche. Sind augenblicklich mitten in der Schlacht. Das donnert. Liegen noch in Reserve. Die Artillerie ballert über uns weg,
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[Blatt 190]
doch der Russe scheint keine zu haben. Heute wird wohl die Sache zum Klappen kommen. Mir gehts sonst gut. Bisher schliefen wir im Freien. Die Verpflegung bis jetzt tadellos. Im Hause wars aber doch besser. Am Tage eins [?] vor dem Versuch, die Düna zu überschreiten, machten wir einen Nachtmarsch bis zur Düna. Ich war mit als Infanterie-Schutz der Artillerie, da Kosaken die Gegend unsicher machten. Tagsüber am Ufer der Düna. Unsere Artillerie beschießt ohne Erfolg die Forts von Ostrolenka. Viel Feuer. Sehr starke Befestigungslinien, angespitzte Bäume usw. Gewaltige Fabrik am Ufer. Ausgebrannt. Liegen in Kusseln. Immer Regen. Erste Verwundeten. Mit Petersen die letzte Flasche Wein aus der Kantine. Morgens soll angegriffen werden. Doch als unsere Pontons ins Wasser kommen, werden sie in furchtbarem Maschinengewehrfeuer leck geschossen. Viele ertrinken. Wir kommen nicht weiter.
Umgehungsmärsche. Am 29. überschreiten wir bei Kolaki auf einer Pontonbrücke den Narew und kommen bis Kruschewo [sic]9 und Jawory. Der über den Fluß zurückgeworfene Gegner leistet uns nun hier an der Bahn Ostrolenka-Warschau erbitterten Widerstand, um zu verhindern, daß die Räumung Warschaus von Norden her gestört werde. Ringsum ist alles am Brennen. Schönes Bild.
3. August 1915
Liegen jetzt schon drei Tage in der Schlacht (30. Juli Erstürmung des Dorfes Schubin, 31. brach der Russe bei Tzhisk10 [?] durch, wir schlugen ihn zurück, 1. August Ehrentag Erstürmung Eisenbahndamm nördlich Haltestelle Goworowo). In der Schlacht vom 30. Juli bis 5. August elf Offiziere, 2700 Gefangene, acht Maschinengewehre erbeutet. Soweit hats mir noch gut gegangen. Gut zufrieden. Vorgestern Abend Sturm. Viel Verluste. Gestern Abend stürmten wir die Bahnlinie. Was die Russen laufen konnten. Tagsüber und in der Nacht
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[Blatt 191]
immer graben. Bester Schutz. Zum Schreiben hat man keine Zeit oder man ist zu müde. Der Krieg ist doch ungemein gräßlich und schön. Vorgestern brannte ein Dorf, so groß wie Melle etwa, zugleich ab. Das stürmten wir dann. War das ein Feuer.
4. August 1915
– – bitte Mutter, mir nur kleine Pakete zu schicken. Wetter sehr gut. Schlafen immer draußen. Hoffentlich geht alles gut.
6. August 1915
Tut mir leid, daß ich nicht mehr schreiben kann, Post geht unregelmäßig und Bahnverbindung ist nicht vorhanden. Geht mir gut. Die Russen laufen, hoffentlich ist das die Entscheidungsschlacht und dann ist Schluß. Ostrolenka und umliegende Dörfer brennen. Unheimliche Feuer. Wir haben sehr schwere Verluste gehabt. Dass alles noch gutgegangen ist, habe ich sicher der Gottesmutter zu verdanken. Zweimal ließen uns die Russen bis auf etwa 100 m herankommen und dann gabs in der Dunkelheit ein schweres Feuer, woher, das wußte man nicht, von allen Seiten. Ich lag in einem Wasserloch, den Kopf tief, schießen kann man dann auch nicht, nur ruhig liegen bleiben. Endlich wirds dann ruhiger.
Schlaf bekommen wir sehr wenig. Tagsüber arbeiten, schanzen usw. Nachts Wache schieben, zwei Stunden immer, dann zwei Stunden Ruhe. Essen wird noch weniger. Wir können nicht viel nachbekommen. Nachts ging von jeder Gruppe einer los und Essen holen. Küche liegt weit zurück. Dann gab es um 1 Uhr gewöhnlich einen Schlag (guter Teller voll) Erbsensuppe, eine halbe Tasse Kaffee, das war alles. Brot für den Tag nach unserem Brot etwa vier Scheiben Graubrot, da muß man den Tag mit aus[kommen]. Wenn es eben geht, kocht man tagsüber Kaffee und Kartoffeln.
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[Blatt 192]
Es ist doch ein trauriges Leben. Und dann die vielen Toten. Heute Mittag war ich mit Wasser holen (wir sind augenblicklich auf dem Vormarsch, östlich der Rawka). Da lagen noch einige hundert Russen und deutsche Landstürmer, die noch nicht begraben waren, auf kleinstem Raum. Kriegsmaterial, man glaubt es nicht, was da alles herumliegt. Die Dörfer sind meist in Brand geschossen oder gesteckt. Jeden Abend sind ringsumher zehn bis zwölf und mehr Brände zugleich, ebenso tagsüber. Oft brennen große Kornfelder ab. Gestern Abend sah ich noch zwei brennen, groß wie die Netter Heide. Alles ein Feuer. Ein großartiges Bild. Mit meiner Gesundheit geht's gut. Wenn ich mal einige Tage keine Nachricht gebe, dann geht es eben nicht.
8. August 1915
Bin gut zufrieden. Schick mir sofort doch Schreibpapier. Liegen jetzt fast den ganzen Tag in der Erde. Nachts geht es weiter, dann eingraben. Tagsüber dann in der Stellung liegen bleiben. Da kann man sich nicht reine halten. Hier geht das Gerücht, daß Warschau gefallen sei. Hoffentlich, dann ist sicher bald Schluß. Wir kommen hier ja auch gut weiter. Augenblicklich liegt unsere Kompanie in der Reserve, d. h. etwa 200 m hinter der ersten Schützenlinie. Geschossen wird von der Infanterie auf unserer Seite sehr wenig, der Russe schießt aber bei jeder Gelegenheit wie wahnsinnig. Nur unsere Artillerie ballert dauernd. Der Russe zwar ebenso, aber so viel[e] Geschütze, als unsere hat er lange nicht. Das ist auch unser Glück, sonst würden wir noch viel mehr Verluste haben. Augenblicklich haben wir das schönste Geschützfeuer. Der Russe beschießt unsere Reserven. Lange darf die Sache nicht mehr dauern,
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[Blatt 193]
ich will gleich noch kochen gehen, mit dem Brot und einmal Essen kann man nicht aus. Habe mir heute schon zweimal Kartoffeln und Kaffee gekocht und immer wieder ist man hungrig. Insofern haben wir auch in der jetzigen Stellung Glück. Mitten im Dorfe (Häuser natürlich alle abgebrannt, eins steht zwar noch, aber vollständig zusammengeschossen). Etwa zehn Schritt hinter unserer Stellung ist ein Brunnen. Ringsherum Kartoffel- und Obstgärten (wenn es eben geht, will ich auch noch Birnen kochen). Gekocht wird in den Nischen der abgebrannten Häuser. Ohne Salz natürlich. Wenn die stete Lebensgefahr nicht dabei wäre, dann könnte man sich das Leben so ganz schön gestalten.
Post habe ich noch keine bekommen, nur eine Postkarte, da muß man sich eben gedulden, ich weiß ja, [du] schreibst. – – Wir können nur froh sein, daß der Krieg nicht in unserem Lande ist, hier ist doch keiner verschont geblieben. Den Einwohnern ist alles genommen und zerstört, teilweise sind sie dann noch mit in das Innere des Landes geschickt und verschleppt von den Russen, um Spionage zu verhindern. Am 6. August stürmten die Regimenter die Haltestelle Gutzin [?]11. Zwei Geschütze, sechs Munitionswagen, 15 Offiziere, mehrere Tausend Gefangene, am 7. und 8. unter steten Gefechten verfolgt. Höhe 133, westlich Pshiborowo12, Jelna, Jelionka13 [?], Höhe 141 nördlich Ostrow [sic]14, Palap[uh?]15 waren verschanzte Stützpunkte, aus denen der Feind vertrieben wurde. Am 10. August dem 11. Korps unterstellt. In Dorf Paprohs-Dulshaja16 Unterkunft.
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[Blatt 194]
Am 11. August Verfolgung bis Wacholy [sic]17. Hier verbrannten die Russen rücksichtlos Einwohner – Frauen und Kinder – sowie eigene Verwundete.
8. August 1915
Bekam gestern Abend Mutters Paket mit Papier. Konnte nicht eher schreiben, keine Zeit, die Post wurde auch nicht eingesammelt. Gut zufrieden. In den letzten Tagen mußten wir viel laufen. Sind jetzt an der Memel (Nieme[n]) östlich von Grodno. Vorgestern bekamen wir 600 Mann Ersatz, meist Hamburger. Die Schleswiger, die mit mir eingezogen sind, hat man zum größten Teil auch zur Front geschickt. Der Ersatz kam nachts. Lagen im Walde in Erdlöchern. Bekam noch Essen und Verpflegung. Ich Brille ab, Mantelkragen hoch, Eßgeschirr, mit in Reihe, auch Essen und Brot empfangen. Der Spieß zählte ab und hat nichts gemerkt. Haben dann tadellos gelebt. Wetter augenblicklich sehr scheußlich. Regen, naßkalt. Man muß sich daran gewöhnen.
9. August 1915
Immer hinter den Russen her. Glück habe ich gestern gehabt. Es ging zum Angriff. Gruppenweise Sprung durch ein unter Sperrfeuer liegendes Dorf. Sind gerade 10 m von einem Hause, da heult eine Salve heran. Schrapnells. Liegen, Kopf hinter eine fingerstarken [unleserliches Wort]. Atem stockt. Fürchterlicher Knall. Dreck und Steine und Kugeln und Feuer. Meine Nebenleute rechts und links, vor- und rückwärts, hats schwer getroffen. Schreie, Rufen, Sanitäter. Schon kamen neue Lagen. Gestern Morgen hatten wir einen Feuerüberfall durch die Russen. Lagen mit dem ganzen Bataillon zusammen (etwa 800 Mann), da fuhren die Kugeln dazwischen. Aus einem besetzten Dorf. Dabei war ich noch nachts in dem Dorfe gewesen zum Wasserholen. Was wir auseinanderkamen. Bald kam Ordnung.
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Warcholy ↩
[Blatt 195]
Unsere Artillerie pfefferte ins Dorf. Wir umgingen das Dorf. Schon konnten wir die ganze Gesellschaft gefangen abführen. Die Russen laufen immer. Die Zahl der Gefangenen ist groß. Post von Mutter habe ich noch nicht bekommen.
10. August 1915
Gut zufrieden. Nur kurze Grüße, keine Zeit.
11. August 1915
Heute erhielt ich drei Karten, aber nicht von Mutter. Schick mir kleine Pakete. Nur Eßsachen. Keine Zigarren, wenigstens nicht mehr als drei bis vier zurzeit. Heute werde [ich] 20 RM abschicken. Habe genug und hier braucht man nichts. Die Post wird wohl lange unterwegs sein, da sie einen Umweg machen muß. Sind den Russen im Rücken und Bahnverbindung fehlt. Was sind hier doch für Truppenmessen. Der Russe läuft, was er kann. Wir immer hinterher. Er hat viel Verluste, besonders in Gefangenen. Eben kam ein großer Trupp vorbei, da waren Kerlchen bei von höchstens 13–14 Jahren. Ist doch traurig. Hoffentlich ist bald Schluß. Schickt mir sofort Schreibpapier.
13. August 1915
Guter Dinge. Sind soeben wieder auf Russenverfolgung. Und der läuft, man kann kaum hinterherkommen. Aber stets setzt er sich wieder fest, wird dann herausgeworfen. So geht es Tag für Tag. Habe schon viel Glück gehabt, hoffentlich bleibt es so. –
14. August 1915
Mußte gestern abbrechen, da es wieder hinter dem Russen herging. Hatten ein sehr interessantes Gefecht mit ihm. Zivilbevölkerung zwischen uns und Ruski. Armes Volk. Dann fuhr unsere Artillerie in voller Fahrt an uns vorbei, den Russen auf einige 100 m entgegen, abgeprotzt, rasendes Feuer. Großartig. Heute Morgen leistet der Feind noch Widerstand, bald wird
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[Blatt 196]
er sicher laufen.
15. August 1915
Guter Dinge. Gestern hatten wir eine schreckliche Schlacht. Von meiner Kompanie ist nicht viel übergeblieben. Alles tot oder verwundet. Es ist schrecklich. Die l[iebe] Gottesmutter hat mich mal wieder gut beschützt, nicht einmal, sondern hundertmal, z. B. platzte eine schwere Granate unserer eigenen Artillerie in unserer Gruppe. Hatten eben 20–30 Gefangene gemacht, standen mit 20 Mann dabei auf dem eroberten feindlichen Graben. Die Russen Hände hoch, wir mit dem Bajonett drum zu, ich war etwa 8–10 m noch davon, wollte auch drauf zu. Da kommt die Granate. Mitten dazwischen, alle Mann waren verschwunden und zerrissen, ein Bild zum wahnsinnig werden. Und so gings weiter.
Wir durch diese Geschichte ganz von der Kompanie abgekommen. Allein durch ein Waldstück. Viele Russen treffe ich. Hatten Gewehre fortgeworfen. Bei einem großen Gut bleiben wir liegen. Schwere Gegenangriffe, sieben Angriffskolonnen hintereinander. Abgeschlagen. Im Park pflücke ich im tollsten Kugelregen Äpfel. Suche und finde Anschluß an Kompanie. Schweres Granatfeuer. An der Stelle, wo ich eben lag, liegen wohl zehn Mann von unseren, von schweren Granatstücken zerschlagen. Wir bleiben liegen. Die Reserven verfolgen. Abends kommt die Küche, doch wir sind nur mehr wenig. Traurige Stimmung. Meine besten Freunde sind tot, aber alle. Graben uns leicht gegen umherirrende Kugeln ein.
17. August 1915
Gut zufrieden. Sind heute in Regiments-Reserve gekommen. Wie lange? Von unserer Kompanie ist kaum noch
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[Blatt 197]
der dritte Teil übrig, trotzdem wir vielen Ersatz schon bekommen hatten. Unser Zug hat am stärksten gelitten. Wir waren zehn Gruppen à acht Mann, jetzt nur mehr drei. Kein Unteroffizier, Gefreiter ist noch da, alles weg. Hoffentlich hat das Regiment bald seine Arbeit geleistet.
20. August 1915
Gestern erhielt ich deine Karte vom 8. August. Habe mich recht gefreut. Kamen soeben aus der Schlacht und liegen heute in Ruhe, scheinbar, denn bis jetzt ist noch kein Befehl gekommen. Bin soweit guter Dinge. Gestern war wieder ein blutiger Tag. Will dir kurz schreiben, was wir hier schon geleistet haben. Die Schrift mußt du schon entschuldigen, die Hände sind zu steif. Als wir in Rußland ankamen, Puppen in Ostpreußen, ging es in großen Märschen auf Ostrolenka. Vor der Festung angekommen, sollten wir stürmen. Schlug fehl, konnten noch nicht über den Narew, etwa 70–100 m breit, da die Pioniere zu spät kamen, und die Pontons im Morgenlicht zerschossen wurden. Wir machten einen Umweg. Südlich von Ostrolenka überschritten wir den Fluß, dann ging es weiter nach Nordosten. Am Abend des Tages hatten wir unser erstes Gefecht (Schubin) vor einem Bahndamm. Das Regiment hat etwa 500–600 Mann dort verloren. Das war meine Feuertaufe. Zwei Tage später stürmten wir den Bahndamm. Blieben dem Feind zwei Tage gegenüber liegen. Wurden abgelöst und gingen weiter. Seit dem Tage hatten wir jeden Tag Gefechte und Verluste. Gestern haben wir den vierten Bahndamm gestürmt. Der Russe wehrt sich verzweifelt.
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[Blatt 198]
Aber stets muß er zurück. Und Glück habe ich gehabt. Vorgestern flog mir ein Granatsprengstück von 6 cm Länge und 1 cm Breite gegen die Kniescheibe. Gott dank mit der flachen Seite, hat so weiter nicht viel geschadet. So habe ich schon tausendmal Glück gehabt, ich mag nicht daran denken. Da kann man nur beten, daß alles gut geht. Du brauchst nun nicht so viel Angst zu haben, die l[iebe] Gottesmutter wird mich schon beschützen. Alle meine bisherigen Freunde sind leider gefallen oder verwundet. Unsere Kompanie war gut vier Züge stark à sieben bis acht Gruppen. Jetzt sind wir mehr zwei Züge à vier Gruppen. Von je vier Mann sind bald drei gefallen oder verwundet. Einen Unteroffizier haben wir noch, das ist alles. Da kann man von Glück sprechen, wenn man heil durchkommt.
Schick mir nur kleine Pakete als Feldpostbriefe, die anderen kommen kaum über, und dann nur Fettigkeiten. Ich habe bisher nur trocken Brot essen müssen, geht alles, dann bitte ich dringend um Schreibpapier. Dieses ist schon geliehen. Das Geld hab ich noch nicht abgeschickt, ist noch nicht abgenommen. Einliegend der Splitter, der gegen mein Knie flog. – Am 19. lagen wir etliche 100 m vor dem Russen. Hatten viele Verluste beim Durchkriechen einer Bodensenkung. Ein Pole, der mir gerade vorher erzählt hatte, beim Anblick eines zerschossenen Kirchturmes, daß es für ihn keine Kirchen mehr geben brauche, erhielt neben mir einen Bauchschuß. Betete sofort rasend und wehrte und schrie bis er starb. Holte in der Nacht Honig aus russischen Bienenstöcken, im Gefecht kamen wir durch
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[Blatt 199]
ein Waldstück, hinter dem Bahndamm. Russe macht Gegenangriff. 100 m vor uns stehen vier feindliche Geschütze. Ich liege im Ameisenhaufen und kann mich nicht rühren. Endlich gibts Luft. Der Russe hat die Gelegenheit benutzt, die Geschütze zurückzuziehen. Im russischen Graben finde ich goldenes 40–60 cm großes Madonnenbild. Suche die Brotbeutel der gefallenen Russen nach Brot. Werde beschossen. Im Walde begraben wir unsere Toten in Zeltbahnen. Ansprache, präsentiert das Gewehr. Auch das klappt bei mir, obwohl zum ersten Mal. Tränen, Helm ab zum Gebet. Am 13. August wurde die Bahn Warschau-Petersburg überschritten, am 14. an der Minnka18 gekämpft. Am 15. waren die Gefechte am Tlozewka-Abschnitt19, mehrere hunderte Gefangene, am 16 und 17. Gefechte bei Wysky20 und Bayensky-Stare21. Die Truppen wurden auf dieser Verfolgung durch fortwährende Kämpfe, keine Unterkunft, ungünstige, sandige Wege und das Liegen in dauernder Gefechtsbereitschaft auf das Äußerste angestrengt. Am 18. wurden bei Napoli22 mehrere hintereinanderliegende, meisterhaft gebaute Stellungen genommen. Um 6 Uhr bei Banki gestürmt (Woronie durch die 90., Banki durch 84. und Teile von R[eserve]-I[nfanterie]-R[egiment] 27 [?]). Die zweite ausgebaute Stellung harrt[?] an der Straße Bialystok-Bielsk-Brest-Litowsk, am 19. August nach starker Artillerievorbereitung gestürmt. Viele hunderte Gefangene, vier Maschinengewehre. Am 20. erbitterter Widerstand an der Straße Bielsk-Proniewicze-Ryboly. Beiderseits des Dorfes Proniewicze wurde die dritte Stellung gestürmt.
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Vermutlich eine Flussbezeichnung. Welchen Fluss Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.↩
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Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.↩
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Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.↩
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Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.↩
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Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.↩
[Blatt 200]
Viele Gefangene, de[n] Feind über den Orlankabach geworfen. Verzweifelte Gegenangriffe der Russen. 21. und 22. von Gut Hryniewieze [sic]23 aus. Abgewehrt und zwei Offiziere, 500 Mann Gefangene. Inzwischen erster Ersatz eingetroffen. 1800 Mann. Die Division blieb am 23., 24., [und] 25. August in Stellung, da die Nachbardivisionen nur langsam Boden gewinnen konnten und der Feind mehr von Süden angegriffen werden sollte. Am 26. hatte Rußki geräumt. Am 27. auf einer Pontonbrücke, südlich Ryboly, zum zweiten Male über den Narew. Wir kamen mit den Aufklärungsabteilungen bis an den Urwald von Bialystok.
22. August 1915
Soeben 20 Mk abgeschickt. Mir gehts ja soweit gut. Unsere Division soll ihre Aufgabe erfüllt haben, hoffentlich wird sie bald abgelöst, wir haben Ruhe nötig. Hauptsache ist, daß bald Schluß ist. Vor zwei Tagen stürmte wir unsere Kompanie (70 Mann) eine befestigte Stellung des Feindes. Der rückte aus, trotzdem er an 600 Mann stark war. Dabei machten wir viele Gefangene und erbeuteten zwei Maschinengewehre.
22. August 1915 [sic]24
Postabschnitt. Endlich komme ich dazu, das Geld abzuschicken. Unsere Division hat ihre Aufgabe erfüllt. Es war eine lange Reihe von Siegen. Weit sind wir vorgekommen. Wahrscheinlich werden wir abgelöst. – – –
26. August 1915
Mir gehts gut. Der Russe ist heute wieder ausgerückt. Da müssen wir natürlich hinterher. Post von dir bekomme ich gar nicht. Erst zwei Karten. Hoffentlich sind Pakete unterwegs. Schick möglichst
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[Blatt 201]
kleine (hat Mutter getan. Ein halbes Schwein war unterwegs und nichts bekommen, da Verwundung dazwischenkam). Gestern habe ich mir z. B. von einer geschlachteten Kuh aus den Därmen Fett ausgeschmolzen, im Artilleriefeuer Erbsen gesucht und gedöppt, eine Wurzel fand ich in einem tiefen Panjebrunnen, der ungefähr leer war. Eine pick-feine Erbsensuppe, nur Klöße fehlten. Ferner Bratkartoffeln und Rauken gekocht. Das schmeckte aber. Sonst kann man sich im allgemeinen nur Kaffee kochen, da dieser nur geliefert wird. Wenn wir längere Rast haben, kann man auch Feldfrüchte nehmen. Essen ist die Hauptsache, sonst hält man's nicht aus. In der nächsten Zeit bekommen wir wieder 1200 Mann Ersatz. Wo wir noch abbleiben, weiß ich nicht.
29. August 1915
Gestern Abend hatte ich große Freude. Bekam die beiden Paketchen von Fräulein Hemesath und eins von Hamburg mit Süßigkeiten. Die ersten. Außerdem von dir (Mutter) Namenstagkarte und zwei andere. Das macht Freude. Und geschmaust habe ich, wenn man so lange nichts gehabt hat. Besten Dank bei Fräulein H. Es ist dies meine letzte Karte. Ich kann also nicht anders danken. Wir haben in den letzten Tagen recht anstrengende Märsche gemacht, immer gen Osten. Weit wollen wir den Russen sicher nicht mehr treiben. Augenblicklich liegen wir im feindlichen Artilleriefeuer. Unser Ziel kenn ich nicht. Bisher habe ich 16 Schlachten und Gefechte direkt mitgemacht. Darüber schreiben, kann
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[Blatt 202]
man nicht alles. Steht sicher auch in den Zeitungen (bis zum Njemen). Am 28. August marschiert [sic] die Divisionen in zwei Kolonnen durch den fast undurchdringlichen Urwald von Bialystok. Unter andauernden Plänkeleien, große, viele Wegesperren, Patrouillen. Marsch bis Eisenbahn Bialystok-Minsk, bei Sokol Gefecht. Am 30. August wird der Suprasl-Bach erreicht und der Übergang bei Walily und Pilatowzaa25 erkämpft. Starker Widerstand, 31. Rückzug. Am Abend des 31. August Ostrand des Urwaldes erreicht. Das Heraustreten muß erst erkämpft werden. Recht schwere Brummer beschießen die Ausgangswege. Am 1. September räumt Rußki nach starker Beschießung eiligst das Feld. Bis zum Njemen fortwährendes Erkämpfen von Übergängen tief eingeschnittener Bachabschnitte. Die Ufer sind hohe Dünen. Täler sehr breit und sumpfig. Brücken von abziehenden Kosaken verbrannt. Am 2. September der Swislocz-Bach, am 3. der Werezia-Bach26 erreicht. Feind stark verschanzt. Am 4. angegriffen, starker Regen. Am 5. das Hindernis überwunden. Die Orte Duchowlany [sic]27, Pietrowice, Poczuki [sic]28 erobert. Geschütze und Fahrzeuge versinken bis über die Achsen. Über 150 km vom nächsten Bahnhof entfernt. Viel Schwierigkeiten. Tag und Nacht keine Ruhe. Viele Tiere gehen ein. Ersetzt durch Panjepferde-Wagen-Kolonnen. Kraftwagen sind im Sande stecken geblieben. Am 6. September hatte die Division trotzdem den Njemen erreicht. Der Gegner war über den Fluß gegangen und besetzte
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[Blatt 203]
am Ufer eine festungsartige Stellung. Die 54. Division wurde abgelöst. Wir kamen flußabwärts, um dort den Angriff und Übergang zu unternehmen. Als Brückenstelle war das Flußknie bei Ponishang29 gewählt. Am Abend setzte ein Bataillon mit Fähren über den 200 m breiten Strom. Die Brücke wurde erst am folgenden Tage fertig, da der zur Verfügung gestellte Korpsbrückentrain nicht ausreichte. Noch zwei Divisionsbrückentrains mußten eingebaut werden. Die Baustelle lag im feindlichen Artilleriefeuer.
31. August 1915
Bin gut zufrieden. Die Witterung war in den letzten Tagen nicht besonders. Der Russe läuft, wir müssen hinterher. Einmal in einem halbgefüllten Graben (mit Wasser) geschlafen, ein andermal den ganzen Tag im schweren Regen gelegen, abends zum ersten Mal in Rußland in einer Strohscheune geschlafen, mitten im Dorfe. Als [ich] am Morgen erwache, waren die Häuser ringsherum abgebrannt, ich hatte nichts gemerkt. Übermüdigkeit. Dann lagen wir im schweren Geschützfeuer, konnten nicht weiter, geschlafen. Mein Nebenmann wird von einem Blindgänger durchbohrt, nichts gemerkt. Bei drei Minuten Rast schlief man schon und wurde nur wach, wenns Kommando kam: „fertig machen, an die Gewehre!" Dabei habe ich nicht ein einziges Mal schlappgemacht. Von Mutters Paketen ist noch keins überge-
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Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.↩
[Blatt 204]
kommen. Die Post kommt aber allmählich nach, so erwartet man jeden Tag etwas, das macht Freude. Vielleicht kommt unser Regiment bald nach Frankreich zurück. Ich habe nichts dagegen. Von denen, die mit mir kamen, sind nicht viel mehr da. Viele gefallen, die meisten verwundet. 1,5 Monate bin ich jetzt im Feld, die Hauptsache ist, daß man wiederkommt.
[Fortsetzung Blatt 204 nächstes Kapitel]
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