Juli – September 1917
______________________________________________________________
[Fortsetzung Blatt 127]
1. Juli 1917
Heute höre ich, daß ein Zeppelin über unserer Front beschossen wurde. Gestern Abend wieder Gewitter. Schöne Fahrt mit der Kleinbahn. Der Bahnbau ist vorläufig zu Ende. Heute Morgen zum Baden. An der Front Artillerie, lebhaft. Spannung, wann ich auf Urlaub fahren kann.
3. Juli 1917
Das Wetter ist kühler und schön. Die Artillerie an der Front ist lebhaft, nachts recht lebhaft, immerzu. Auch unsere Posten schießen mehr. Nach Aussage unserer Artillerie-Beobachter zerstörte unsere Artillerie letzte Nacht vier Eisenbahnwagen des Nachtzuges auf der anderen Seite der Düna. Ein Schiff auf der Düna wurde beschossen. Links soll Rußki wieder angegriffen haben. Gestern Abend erwarteten wir wieder einen Angriff. Die Offensive der Russen in Galizien hat begonnen. Ich hoffe, bald auf Urlaub fahren zu können. Sechs Mann sind auf der Liste noch vor mir.
6. Juni 1917 [sic]1
Die Lage wird bei uns kritischer. Armeebefehl der Russen, auch bei uns anzugreifen. Ob er die Energie besitzt?
______________________________________________________________
-
Vermutlich meint Beckmann den 6. Juli 1917. ↩
[Blatt 128]
Die Artillerie wird lebhafter. Bekommt wieder Kartusch[en?]. Das Wetter wird kühler. Urlaub bei 409 wegen Flecktyphus gesperrt. I. und II. 410 Alarm, fort nach Rackau2. Wir bleiben für unser Gebiet. Die Folge ist, daß wir wieder Arbeitskompanie geworden sind. Es geht wieder zum Bahnbau.
9. Juli 1917
Urlaubsgedanken. Es ist keine schöne Sache, wenn man an der Reihe ist und andere immer dazwischenkommen. Wieder sind sechs dazwischen gestoppt. Nun hab ich den Spieß angehauen. Nächste Woche, sagt er. Obs wahr wird? Sonst nichts Neues. Rußki will scheinbar noch angreifen, doch wir sind gerüstet. Munition usw. ist alles recht reichlich. Wir haben noch Arbeitsdienst. Gestern, Sonntag, hatten wir Konzert, Bierempfang und von Muttern bekam ich Zigarren und Tabak. Überall wird jetzt Grünfutter (wilde Melde) gekocht. Viel, sehr viel. Um den Hunger zu stillen, um das dünne Essen dicker zu machen. Und satt werden wir dadurch. Überall gibts Melde durch, ob Erbsen, ob Dörrgemüse, ob Pflaumen, immer Grünfraß dadurch. – Flieger und schönes Wetter. Nachts wirds kalt. Läuse bekommen wir auch wieder, aber die Entlausungsanstalt ist ja nicht weit.
12. Juli 1917
Urlaubsgedanken sind aufregend. Mutter erwartet mich in zehn Tagen und es ist indirekte Urlaubssperre eingetreten, denn es dürfen nur 3% fahren. Folge: Bis zum 25. fährt keiner. Wollte mit den Landurlaubern mit dem Fatzzug [?] (?), aber der Spieß lachte mich aus. Noch immer Arbeitsdienst, meist Akkordarbeit.
______________________________________________________________
-
Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte noch nicht abschließend geklärt werden. ↩
[Blatt 129]
Heute fuhren wir Sand. Was man nicht alles lernt. Exzellenz besuchte uns heute Morgen. Sonst wenig Neues. Unsere Flieger schossen am 8. Juli den russischen Fesselballon herunter. Rußkis Artillerie ballert viel. Erzielte auch einen Treffer im Batteriestand beim Lager. Viele Reden und Gespanntheit wegen der Kanzlerkrise. Morgen ist große Reg[imen]tsübung[?].
14. Juli 1917
Heute fuhren zehn Landurlauber und ich nicht. Schlechte Stimmung. An der Front Ruhe, heftige Fliegerbeschießungen. Gestern Bickbeeren gekocht. Alles sucht. Heute Morgen nahm bei einer Feldübung Leutnant Meyer uns hoch. Hatte wohl schlecht geschlafen. Gestern Regiments-Übung, wir hatten in Reserve gelegen, gemütlich. Montag kommt der Bürgermeister von Hamburg. Die Hamburger vom Regiment hatten eben große Übung. O [?] Humbug, wann ist nur Schluß.
17. Juli 1917
Immer dasselbe. Die Witterung ist trübe und naßkalt. Wieder zum Schanzen. Gestern war der H[amburger?] Bürgermeister hier. Nollendorfer Lager sah den ersten Regenschirm. Bethmann Hol. ist fort, hoffentlich sonst bald der Friede. Heute Morgen Untersuchung, unter 20 Jahre und Körperschwache sollen 100 g Brot mehr erhalten. Gestern Abend und heute Morgen war die Artillerie recht lebhaft. Es fahren drei Urlauber die Woche. Hoffentlich bin ich bald dran, sonst mach ich noch Krach.
20. Juli 1917
Galgenhumor-Stimmung. Eben schrieb ich Muttern, komme Mittwoch, da kommt Nachricht, Urlaub gesperrt. Gemeinheit, es ist toll. Doch was ist zu machen? Was ist los? In Galizien Durchbruch? Bewegungskrieg? Man weiß nichts. Ob wir hierbleiben. Heute
______________________________________________________________
[Blatt 130]
große Regiments-Übung. Von 3 Uhr morgens bis mittags 12 Uhr. Warm, russische Flieger. Front Ruhe. In den letzten Tagen Arbeitsdienst. Bei Sille3 eine Brücke bauen. Rammen. Leutnant Meyer geht. Wäre man bald Schluß.
23. Juli 1917
Die große Offensive in Galizien hat begonnen. Mit Spannung verfolgen wir die Berichte. Unsere Truppen stehen vor Tarnopol. Von Mitau alles nach Dünaburg. Dort gehts auch schon schwer los. Letzte Nacht großer Artillerie-Kampf, Richtung Klemplatz. Gestern wurde die Kompanie neu eingeteilt. Kam zum 3. Zug, bekam die 4. Gruppe. Große Wehrerei. Alles wurde auseinandergerissen. Morgen Gottesdienst. Sonnabend war arbeitsfrei. Freitagnachmittag impfen. Heute gehts wieder zum Schanzen. Hoffentlich ist die Urlaubssperre bald vorbei, man munkelt vom 25. Heute kühler Tag, denn letzte Nacht starker Regen und in den Unterständen leckte es mächtig durch.
24. Juli 1917
Liege augenblicklich bei den Gewehren, als wohlbestellte Wache, die anderen rammen. Habe entschieden den besten Posten. Die Luft ist nicht rein. Voller Parolen. Sollen wieder in Stellung usw. Die beiden anderen Bataillone sind in vorletzter Nacht mit eingesetzt. Andauernd des Nachts schweres Feuer. In Eser, letzte Nacht höchste Alarmbereitschaft. Das Wetter ist trübe und regnerisch. Bei Dünaburg schwere Angriffe.
27. Juli 1917
Wieder einige Tage weiter. Jeden Tag gingen wir zum Rammen an der Siller Brücke4. Diese schreitet
______________________________________________________________
[Blatt 131]
[und] rüstet voran. Machen nun wieder Akkord. Vier Pfähle, 6 m lang, werden gerammt. Wenn der Pfahl bei 30 Hieben mehr 2 cm sackt, dann ist's gut. Es ist doch viel Arbeit. Andere schaffen wieder (Brenn)holz heran, legen Schienen am fertigen Bahndamm. Die Bahn geht nun über Sille5 von Skarbe6, Nollendorf, nach Kaussee [sic]7, Salit8, Gedenk9. Also ganz an der Front entlang. Der Russe ist nachts noch recht lebhaft. Andauernd starkes Artilleriefeuer. Das erste und zweite Bataillon ist nach Mitau, ebenso der Regimentsstab, 405 auch. Ob wir hier liegen bleiben? Man muß auf alles gefaßt sein. Das Kartoffelstehlen ist nun bei gerichtlicher Strafe verboten. Letzte Nacht brach man im Eiskeller ein. Unsere Kompanie hatte Wache, natürlich sollen wir es gewesen sein. Große Haussuchung auf allen Stuben. Nichts. Bei den Landstürmern drei Maschinengewehr-K[ompanien?]. Tilsit holten sie einen Hahn und vier Hühner fort. Das ist eben Krieg. Hunger. Nach Muttern schickte ich 2 Pfd. Seife, denn man weiß nicht, obs nicht noch fortgeht. Überall großer Durchfall, bei uns gehts noch. In Russland, Galizien gehts ja gut weiter. Die Urlaubssperre soll wahrscheinlich bald aufgehoben werden. Hoffentlich. Nächste Woche solls nachts zum Schanzen in Stellung gehen.
29. Juli 1917
Gestern Abend kommt plötzlich Bescheid, daß ich heute Morgen [auf] Urlaub fahre. Schöne Stimmung. Bei 409 hat Rußki die Brückenkopfstellung geräumt. Wir haben die neue Stellung besetzt, doch viel Flankenfeuer.
______________________________________________________________
[Blatt 132]
Gestern Nachmittag fühlten wir dort vor. Alles war vom Feinde leer. Einige Verluste dabei. Von heute Abend ab nachts schanzen in der besetzten russischen Stellung, und ich fahr gleich nach Muttern. – In Skarbe10 kauf ich beim Proviantamt bei den Freunden in der Kantine ordentlich ein. Viel Gepäck, auch meine Balalaika geht mit. Urlaubsschein, Läuseschein, alles muß in Ordnung sein. Von Königsberg schickte ich durch einen Kameraden ein Telegramm an Mutter, das aber nie ankommt. In Berlin gebe ich mehrere Pakete lieber Kameraden auf die Post, dann geht's nach Mutter. – Auf Urlaub. Schöne Zeit. – –
17. August 1917
Schnell gehen die Tage, der Urlaub war zu flott zu Ende. Nachdem man scheinbar freudig in Zukunft blickend von Muttern Abschied genommen, gehts mit dem Schnellzug um 1320 Uhr zum Osten. Voll sind die Züge. Abends von 2030-030 Uhr liegen wir in Berlin, dann gehts im Urlauberzug in schneller Fahrt weiter. Einmal konnte man Speck kaufen, doch eine Feldflasche voll Kaffee kostet 50 Pf. Nach 24 Stunden sind wir in Mitau. Uns begegnen leere Transportzüge, die geben zu denken. Sollte unsere Division abgelöst sein? In Mitau fragen wir nicht, denn wir wollen schlafen, in denkbar wunderlichsten Lagen. In Neugut zwei Stunden Aufenthalt. Philpp Schuhmacher, der mit auf Urlaub war, kommt mit der Nachricht, daß großer Angriff auf Riga bevorsteht. Ich glaubs anfangs nicht, aber die vielen Rüstungen
______________________________________________________________
-
Skurbeniesi.↩
[Blatt 133]
machen stutzig. Der regelrechte Zugverkehr (macht) ist eingestellt, bis Neugut-Nord fahren wir mit einem Transportzug der Garde. Von dort mit einem unheimlich langen Lebensmittelzug. In Gedeng11 ist ein kolossales Munitionslager, im Walde, der Bahn längs aufgestellt. Endlich kommen wir in Skarbe12 an. Welch ein Betrieb, Feldbäckereien, Kolonnen, Bibaks [sic], usw., usw. Die Feldbahn ist fort, wir gehen zu Fuß. Überall Truppenlager. Meist Artillerie. Der Rennstieg und Sille13 liegen dicht voll. Auch bei uns, nach Eser. Überall, wo man hinsieht. Sie kommen von Smorgon-Galizien usw. Alle Kaliber, meist schwere. Auch 42 cm sollen dabei sein bei Merzendorf14. Bei Sille-Ausweiche15 haben unsere in den letzten Tagen nur Munition ausgeladen, unheimliche Mengen liegen dort, unheimliche Mengen sind schon bei den Batterien. Die Kompanie liegt noch in Nollendorf, hat die Ruhr und viele Kranke. Als ich bei Mutter war, bekam ich in Rothenfelde auch einen Anfall, ist aber schnell wieder erledigt. Konnte dort die bessere Verpflegung nicht vertragen. Hier ist das ganze Regiment krank. Der Urlaub ist gesperrt und bis zum 31. muß alles zurück sein. Kann mich nur freuen, daß ich meinen Urlaub weg habe. Die militärische Ausbildung erstreckt sich nur mehr auf Gefechtsausbildung, immer feldmarschmäßig, macht gerade kein Vergnügen. Der neue
______________________________________________________________
[Blatt 134]
Kompanieführer setzt viel Dienst an. Am Montagnachmittag gings nach Skarbe16. Die unheimlichen Stroh- und Heumassen, ebenso die Holzwolle, werden aufgespeichert. Über 20 m hohe Pyramiden entstehen bei entsprechender Breite. Abends gehts mit Gesang nach Haus, aber der Staub ist grauenhaft. In der Dunkelheit sieht es aus wie dichter Nebel. Jetzt gibt's es [sic] mehr Brot, wieder 750 g, alle zwei Tage ein halbes Brot, denn es werden die 6 Pfd. Brote verteilt. Das Essen ist auch gut. Artillerie und Minenwerfer kommen. Am 21. August haben wir ziemlich dienstfrei mit Ausnahme einiger Appelle. Dafür gehts am 22. bös her. Von 6–11 Uhr Ausbildung, feldmarschmäßig, geschwitzt haben wir, unheimlich. Der Staub war nicht so, denn in der Nacht hatte es geregnet. Dann gings um 16 Uhr wieder nach Skarbe17. Unterwegs fing es schon an zu regnen. Im Regen wurde dann noch gearbeitet, der reinste Pyramidenbau. Nach einer Stunde setzte das tollste Gewitter mit Platzregen ein, das ich je in Rußland erlebt habe. Etliche verkrochen sich oben in den Heuballen, teilweise brechen diese zusammen, alles stürzt und poltert 20 m den Abhang hinunter, ein reizendes Bild. Wir haben uns mit etlichen unter einen Eisenbahnwagen verkrochen, aber da leckt und gießt es nur so durch. Breite Wasserrinnen entstehen, und ich finde Schutz im Schuppen des Proviantamtes. Als nach zwei Stunden es so ziemlich mit dem Regen aufgehört hat, sammelt sich die
______________________________________________________________
[Blatt 135]
Kompanie und durch die aufgeweichten, teilweise überschwemmten Wege gehts mit Hurra nach Haus, naß bis auf die Knochen. Drei Mann lernen im Straßengraben schwimmen. Die Kolonnen kommen nur langsam vor. Im Hause sieht's ebenso bös aus, da leckt es durch, und wie. Alle Decken sind naß, kein trockenes Zeug, so solls schlafen gehen. Mit Mühe bekommen wir einen Ofen an und nur im Hemd trocknen wir dasselbe am Feuer. Der Regen hört etwas auf, jeder sucht sich einen trockenen Platz und dann wird gepennt, jeder so gut als möglich. Morgen am 23. soll's fort in Biback [sic] gehen, aber in dieser Verfassung glaub ich noch nicht dran.
24. August 1917
Nun sind wir doch hiergeblieben, unsere Quartiermacher sind zwar dort, doch das macht nichts. Der Verkehr wird immer größer. Nachdem wir nun gestern nach Möglichkeit unsere Sachen getrocknet, mußten wir uns von Mittag an bereit halten zum Arbeitsdienst. Erst um 20 Uhr gings los zum Granatenausladen, bis 430 Uhr morgens. 36 Waggon (mußten) waren gekommen, gut 30 haben wir mit 160 Mann ausgeladen. 15 cm, lange Biester. Dann gings schlafen. Nachmittags war ich zum Hauptmann, soll unsere Kapelle in Schuß bringen, doch unsere Instrumente stimmen ja nicht miteinander.
25. August 1917
Heute sollen wir exerzieren, doch um 4 Uhr wurden wir alle herausgeworfen und es ging wieder zum Munition verladen,
______________________________________________________________
[Blatt 136]
GG [?], und 21 cm. Der Betrieb ist groß, immer mehr kommt, die Vorbereitungen sind gewaltig. Viele Flieger sind andauernd hoch. Unsere Maschinengewehr-Kompanie und M[inen]W[erfer?] sind schon abgerückt.
27. August 1917
Das Leben und Treiben nimmt dauernd zu. Flieger und Autos, Munitionskolonnen, Fuhrkolonnen usw. sind andauernd in Bewegung. Die Wege werden breit und fest. Rußki ist nervös, erwartet unseren Angriff, aber mehr links, nicht an der Düna. Heute endgültiges Urlaubsverbot, ebenso Alkoholverbot. Fleischportionen gibts. 300 g. Die 92. soll hier sein, von Mitau, werde womöglich Bekannte treffen. Wir andauernd Arbeitsdienst, immer Granaten aus- und einladen. Die Knochen tun aber nicht mehr so weh. In Skarbe18 kann man à Mann zehn Eier kaufen, da Urlauber nicht mehr fahren.
29. August 1917
Immer Munition ausladen und immer. Gestern waren wir besonders angeführt. Erst morgens exerzieren, dann von 10–14 Uhr Arbeitsdienst und ebenso von abends 22–3 Uhr nachts. Da war man müde. Jetzt kommt auch Infanterie an. Heute Morgen kam bay[erische?] Infanterie durchs Lager. Das Garde-Korps soll auch noch kommen. Der Flieger sind viele. Der Russe läßt sich nicht sehen. Nachts ist seine Artillerie sehr lebhaft. Die Infanterie nicht. Bei uns werden alle Vorbereitungen getroffen. Alles ist beim Packen. Die entbehrlichsten Sachen kommen nach. Skarbe19 zum Unterbringungsraum. Post kommt sehr unregelmäßig an.
______________________________________________________________
[Blatt 137]
31. August 1917
Es kommt eine Formation nach der anderen. Heute viel, sehr viel Infanterie. Bayern und Garde. Flammenwerfer usw. Es wird schrecklich werden. Im Graben steht alle 6 m ein Minenwerfer. Österreichische Motorbatt[erie?], alles ist hier. Gestern Nacht fuhren die endlosen Pontons nach vorne. Ewiges Munitionsfahren. Heute Mittag sind wir von Nollendorf ausgezogen auf unsere Biwak-Plätze, das ganze Regiment liegt zusammen. Der ganze Rennstieg und alle Wälder liegen voll von Truppen. Übernächste Nacht soll's losgehen. Wir haben uns gruppenweise Zelte gebaut, es ist recht gemütlich. Viel Kavallerie ist auch angekommen.
2. September 1917
Gut Lindenberg (russisches Proviantamt in schwerem Granat- und Schrapnell-Feuer). In der Nacht vom 31. [auf den] 1. schoben unsere Gruppen Feuerwache. Der Wind stand günstig und deshalb sollte es losgehen. Um 330 Uhr morgens besuchte uns noch Panje mit großem Flugapparat. Punkt 4 Uhr begann ein unheimliches Trommelfeuer, zog sich allmählich von links nach rechts hinüber. Vorne die schweren MW20 [unleserliches Wort] den Graben, die schweren Geschütze die hinteren Stellungen. Um 9 Uhr soll der Übergang sein. Um 7 Uhr sind schon Truppen in den zerstörten russischen Gräben. Wir um 14 Uhr los. Bei Borkowitz ist eine der vier Brücken geschlagen, da hinüber. Beim Übergang stockt das Ganze. Von einem russischen Geschütz beschossen. Zwei Treffer gehen mitten in unserer Kompanie, zum Glück Blindgänger. Eine Batte[rie?] 24 befeuert dicht am Ufer dieses einzelne Geschütz. An der Düna rechts
______________________________________________________________
-
Minenwerfer.↩
[Blatt 138]
lassen unsere Nebelwolken ab, um die Sicht von rechts, wo der Russe noch sitzt, zu entziehen. Der Fliegerverkehr ist mächtig. Von jeder Sorte sind über 20 in der Luft. Sechs Fesselballons beobachten mit. Die Flieger geben scheinbar ihre Meldungen mit dem Maschinengewehr ab. Wir kommen gut über die Brücke, der russische Graben ist stellenweise eingeebnet, voller Toter, die hinteren Stellungen sind alle mit Gas ausgeräuchert und wir bekommen, als es dadurch geht, alle das Niesen. Hinterm Übergang treffen wir auf Berichterstatter. Als Telephondrähte benutzen die Russen tatsächlich Stacheldraht. Viele Gefangene liegen am Wege. Flammenwerfer und Maschinenwerfer bleiben zurück und langen am Abend in dem russischen Truppenlager ([unleserliches Wort]?) an. Der Russe hatte es Hals über Kopf verlassen. Zwei Züge übernachten im Graben als erste Linie, 3. Zug 50 m zurück als Reserve. Unteroffiziers-Posten[?] wurde ausgestellt, so verlief die Nacht für uns ruhig. Um 23 Uhr gabs noch Essen. Um 230 Uhr ging [es] schon wieder los. Überall Infanterie. Gefechte. Nach vielen, kurzen Rasten kommen wir in die Nähe von diesem russischen Proviantamt. Stark befestigt, haben eben das zweite Bataillon[?], den Gut Lindenhof, den ersten Teil im Sturm genommen. Zusammen mit dem zweiten Bataillon gehts weiter zum Proviantamt. Da wird gefuttert. Alles, alles ist hier zu haben und liegt z. T. auf den Straßen oder in den zum Teil zerstörten Gebäuden. Gewaltige
______________________________________________________________
[Blatt 139]
Mengen Tees in Pfd.-Paketen liegen überall verstreut. Willkommen als Rauchmaterial. Wir können nicht weiter, da wir starkes Feuer bekommen und unmittelbar vor der zweiten, stark befestigten Stellung liegen. Bald geht's zum Angriff. –
4. August 1917 [sic]21
Soeben die erste Nachricht nach Mutter geschickt. Es kam auch Meldung, daß Riga unser sei. Gegen 15 Uhr nachmittags am 2. kam der Befehl zum Angriff auf die stark befestigten Stellungen des Feindes, hinter Lindenhof. Von feindlicher Infanterie, Maschinengewehr und starker Artillerie schwer unter Feuer genommen, arbeiten wir uns in weit auseinander gezogenen Schützenlinien vor. Durch ein Flußbett, tief ins Wasser, immer weiter, durch niedrige Kusseln, weites freies Gelände kamen wir an die Hauptstellung des Gegners. Unsere Artillerie funkt mächtig, nur zu kurz, und wir mußten lange warten, ehe das Sperrfeuer weiter verlegt und wir den Graben besetzen konnten. Sind die ersten im Graben. Der Russe war hier teilweise geflohen. So kamen wir ungehindert über den breiten, doppelten Drahtverhau. Rechts und links tobt schwerer Kampf. Ahnungslos beobachten wir den weiteren Verlauf des Kampfes. Weiter vorgehen sollten wir nicht, da knapp 50 m vor uns dichter Wald beginnt. Handgranatenstoßtrupp nach rechts und links entsandt zum Aufrollen des Grabens. Da taucht Rußki plötzlich mit weit überlegenen Kräften, ohne daß wir es bemerkten, zum Gegenangriff auf. Eine wahnsinnige Knallerei entstand
______________________________________________________________
-
Vermutlich meint Beckmann den 4. September 1917.↩
[Blatt 140]
bei der wir uns auf 5 m gegenseitig abknallen. Wir haben noch Vorteil, daß wir im russischen Graben etwas Deckung haben. Rußkis Handgranaten fliegen über uns weg. In meiner Tarverse wird trotzdem alles fortgeschossen. Meine beiden rechten und beiden linken Nebenmänner fallen. Klaus Jähos daneben auch tot, Unteroffizier Veddern schwer verwundet (dum-dum) ebenso Gefreiter Petersen Kopfschuß, Piephoff Handschuß. Bin ganz allein. Gewehrlauf glüht. Ein baumlanger Kerl will bei mir in den Graben springen. Ich ziele auf 3 m, weiß aber nicht, ob ich getroffen habe. Der Angriff wird abgeschlagen. Das Regiment hatte den Kampf beobachtet und uns schon verloren gegeben. Etliche Gefangene machten wir noch. Denn endlich bekommen wir zwei schwere Maschinengewehre als Verstärkung. Als ich auf Deckung kletter[e, um] Maschinengewehre mit einzubauen, gibts eins gegen den Helm, rechte Kopfseite. Gewehrschuß aus nächster Entfernung und kopfüber fliege ich in den Graben hinein. Vollständig dussellich [sic] (die Kugel war abgeglitten und hatte nur eine Faustgroße Beule getrieben) bringt man mich mit Unteroffizier Veddern zur ersten Sammelstelle, dann werde ich zum Hauptverbandsplatz gebracht. Man weiß nicht, was mit mir los, ich auch nicht. Man stoppt mich ins Heu und als ich am anderen Tag wach werde, ist alles fort. Etwa 80 tote Kameraden liegen hier. Im Hof treffe ich Prinz Eitel Friedrich. Gehe zurück und treffe die Bagage unserer Kompanie. Bleibe hier. Habe an der linken Seite das Zittern.
______________________________________________________________
[Blatt 141]
Liegen noch unter starkem russischem Artilleriefeuer. Bleiben noch am Lindenhof, es gibt schwere Brocken. Die Kompanie ist seit 8 Uhr wieder ins Gefecht, doch ist's heute nicht so schlimm. Unsere Kompanie hat über 50 Mann Verluste gehabt. Die starke Stellung des Gegners wurde erst geräumt, als wir von der Artillerie wirksam unterstützt wurden. Wir finden viele Dum-Dum-Geschosse (einige habe ich mitgebracht). Mit Ramlan, der Handverletzung hat, bleibe ich bei der Gefechtsbagage. Schlafen dann abends im Straßengraben. Früh am Morgen gehts weiter auf Rybnik zu. Das Dorf ist in der Nacht zum Teil abgebrannt. Hier bleibt das Bataillon. Zusammen in Ruhe liegen. Der Russe ist weit weg. Die Witterung stürmisch mit Regenschauern.
5. August 1917 [sic]22
Nun liegen wir im Walde, wo, weiß ich selbst noch nicht, 7 km von Rybnik. Hier sollen Stellungen bezogen werden. Unsere Toten werden von besonderen Kommandos zur letzten Ruhe bestattet. Die Kompanie hebt neue Stellungen aus. Der Russe ist weit weg. Wir haben Feldwachen ausgestellt.
6. September 1917
Wir liegen noch immer am Fluß. Es wird wohl der kleine oder große Jägel23 sein. Die Kompanie buddelt sich ein, liegen aber in Biwak. Überall wird requiriert und fett gelebt. Jede Kompanie hat schon Schweine, eine Kuh und Schafe. Es ist traurig, daß der Zivilbevölkerung die Sachen so fortgenommen werden. Der Russe hatte gestern Abend, weit weg, alles wieder in Brand gesteckt. Er soll jetzt 40 km von hier stehen.
______________________________________________________________
[Blatt 142]
8. September 1917
Noch immer hier, seit gestern war links wieder Geschützfeuer. Ich nehme an, daß es versprengte russische Abteilungen sind. Gestern hat S[eine?] M[ajestät?] unsere Division besucht. Von jeder Kompanie waren 15 Mann hier. Eine Stunde von Lindenberg. Er sprach seinen Dank aus und verteilte etliche EK. Hier sonst das alte Biwak-Leben mit vielen Abwechslungen. Heute Morgen bin ich zur Kompanie wieder gezogen, der Russe soll noch weit weg sein. Die Kavallerie war 30 km vor. Patrouillen sogar 40 km. Sonst ist man in vollständiger Unkenntnis der Lage. Hoffentlich ist bald Schluß und bald Friede. In letzter Nacht war es sehr kalt. Das Wasser war von einer dünnen Eisschicht überzogen.
10. September 1917
Wir bauen jetzt an unserer Stellung. 10 km vor derselben soll alles eben gemacht werden. Gestern großer Dankgottesdienst. Katholisch und evangelisch. Unser Pfarrer sprach sehr schön. Sonst arbeitsfrei. Abends liegen wir an großen Biwak-Feuer[n]. Die Stimmung ist dann bei schönem Gesang recht traulich. Heute ging wieder ein Requirierungs-Kommando los. Wäre gern mitgegangen. Heute Morgen war ich nach Lindenhof zum Proviantamt zum Empfang. Überall Arbeit. Wege werden ausgebessert, Bunker gebaut, das Holz aus den russischen Stellungen entfernt, überall Ordnung geschaffen. Bis zum Regiments-Stabsquartier gings mit de[n] russischen Förderbahnen. Schreckliches Bauwerk, krumm und schief, auf und ab. Flieger kommen häufig.
13. September 1917
Wir sind mächtig am Schanzen. Der Boden ist schwer zu
______________________________________________________________
[Blatt 143]
bearbeiten.
14. September 1917
Gestern Abend fing es an zu regnen. Im Zelte war es gerade nicht gemütlich. An der Stellung wird tüchtig gearbeitet, ebenso an den Unterständen. Schade nur, daß wir bei 1,5 m auf Grundwasser kommen. Neun Reihen Pfähle zum Drahtverhau sind bald fertig. Im dichten Wald vor der Stellung kommt noch viel dickes Holz heraus. Das Requirierungskommando ist noch fort. Es wird viel und alles Mögliche zurückgeschafft. Viele landwirtschaftliche Maschinen. Unsere Vorhut steht in kleinen Gefechten mit den Russen. Sie zieht sich allmählich auf unsere Hauptstellung zurück. Am 24. soll die Stellung soweit fertig sein. Noch viel Arbeit. Das letzte Gefecht war 42 km von hier. Die Zivilbevölkerung wird abgeschoben. Der Wald soll in einer Tiefe von 10 km herunter. Soll abgebrannt werden.
18. September 1917
Bei wechselnder Witterung wird tüchtig geschanzt. Wir sind nur zu wenig Leute. Von Grund- und Regenwasser viel zu leiden. Sollen bald in Reserve und gute Quartiere kommen. Tut auch not. Das Stroh im Zelt verrottet schon. Rußki soll näherkommen. Gestern war mal wieder ein Fesselballon hoch. Zivilgefangene von Riga legen den Wald, jenseits des Jägels24, vor unserer Stellung nieder. Überall wird schon gebrannt. Sonst dasselbe Leben.
22. September 1917
Sonnabend. Immer dasselbe Wetter. Die Zelte sehen bös aus. Unten die Strohlage ist total morastig. Hoffentlich wird's bald anders. Von Frieden wird viel geredet. Bei Dünaburg soll's in diesen Tagen auch losgehen. Wir bauen tüchtig und wurden oft naß. Überall wird gebrannt.
______________________________________________________________
-
Fluss in Lettland.↩
[Blatt 144]
Verpflegung wird wieder knapper. 600 g Brot. Vorgestern sind wir vormittags bei strömendem Regen in Ruhe nach Dorf Kranzch25 oder Rybnik gekommen. Wohnen in tadellos ausgebauten Stellungen. Wunderbares Schlafen. Sonntag kamen wir. Montag, also gestern, Sachen instand setzen, es wurde aber fast nur gekocht. Kartoffeln eroberten wir uns aus einem Erdkeller zu Genüge. Viel Zivilbevölkerung ist auch hier (Zivilgefangene), bauen an den Straßen. – Heute morgen gings zum Stellungsbau bei III/409. Wir hatten als letzte Gruppe Glück und brauchten nicht mehr mit. In der Ferne heftiges Schießen. Es kommt Befehl, die Kompanie soll diese Nacht um 1 Uhr marschbereit sein. Das schöne Ruheleben also schon zu Ende?
29. September 1917
Am 27., morgens um 345 Uhr, gings los. Wieder nach vorne, mit vollem Gepäck. Das ganze Bataillon. Die Straßen waren nicht mehr so dreckig. Wir marschieren bis zum Abend nach Sunzel26. 35 km, dann noch 6 km hinter Sunzel27, bei einem großen Gut ist unsere vordere Stellung. Überall ist man beim Ernten und Zurückschaffen. Lange Kolonnen und Autos. Alle Vorbereitungen zum Zurückmarsch sind getroffen. Die Stellungen werden vorzüglich. Abends bleiben wir noch auf dem Gute. Abgekocht. Am anderen Morgen gehts in Stellung. Der Russe ist 6 km von hier. Hat sich auch eingeschanzt. Die vorläufige Stellung ist gut. Tadelloses Gelände für unsere Maschinengewehre, von denen auch eine Unmasse hier sind [sic]. Drahtverhau, alles markiert. Vor uns liegt nur eine Feldwache. Oft zeigen sich Kosakenpatrouillen, werden dann von unserer Artillerie heimgeleuchtet. Sonst ganz gutes Leben. Die Witterung geht einiger
______________________________________________________________
-
Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte nicht abschließend geklärt werden.↩
-
Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte nicht abschließend geklärt werden.↩
-
Vermutlich eine Ortsbezeichnung. Welchen Ort Beckmann meint, konnte nicht abschließend geklärt werden.↩
[Blatt 145]
maßen. Nachts ist's schon kalt.
[Fortsetzung Blatt 145 nächtes Kapitel]
______________________________________________________________